Laudatio anlässlich der Verleihung der August-Bebel-Uhr an Gisela Niclas.

von Barbara Pfister, stellv. Fraktionsvorsitzende
Heute darf ich, wie du, liebe Gisela, es dir gewünscht hast, also nun hier erklären, warum deine Erlanger SPD sich diesmal für dich als Trägerin der Bebel-Uhr entschieden hat. Eigentlich ist eine Begründung dafür vollkommen überflüssig, die bloße Aufzählung deiner Funktionen und Mandate aus den letzten Jahrzehnten wäre mehr als ausreichend: Du warst Bürgermeisterin, Fraktionsvorsitzende, OB-Kandidatin, Stadträtin, Bundestagskandidatin, Mitglied des Bezirkstags und dort Fraktionsvorsitzende, stellvertretende UB-Vorsitzende, AsF-Unterbezirksvorsitzende – und hast auch unserer Partei nahestehende Organisationen wie die Naturfreunde und den ASB geführt. Auch wenn diese Ehrung also keiner Begründung bedürfte, freue ich mich sehr, dich heute würdigen zu dürfen. Auch ich persönlich habe dir viel zu verdanken: Seit 1996 durfte ich mit dir gemeinsam Kommunalpolitik machen, lange Zeit mit dir in Partei und AsF zusammenarbeiten und dabei ungeheuer viel von dir lernen.
Wir beide, liebe Gisela, teilen viele Grundüberzeugungen – und unter anderem auch die Begeisterung für den wie ich finde schönsten, sicher aber sehr wichtigen Satz aus unserem Grundsatzprogramm, eine sehr kluge Formulierung, die zuerst in das Berliner Programm 1989 aufgenommen wurde und auch im Hamburger Programm von 2007 zu finden ist.
Dieser Satz lautet: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“. Dieser Satz sorgt häufig für Diskussionen, löst im besten Fall Nachdenken aus und wirkt manchmal auch als Provokation auf diejenigen, die ihn – wie unter anderem der frühere CSU-Oberbürgermeister Siegfried Balleis – nicht verstehen können oder wollen. Dieser Satz richtet sich jedoch eben nicht gegen Männer, sondern er drückt aus, dass es uns um die Überwindung gesellschaftlicher Verhältnisse gehen muss, in denen Frauen – und auch queere Menschen – systematisch benachteiligt werden und die von Vorstellungen vermeintlich naturgegebener „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ geprägt sind. Die Gesellschaft, für die wir Sozialdemokrati*innen kämpfen, eine Gesellschaft ohne patriarchale Machstrukturen, ohne patriarchale Gewalt, ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen, ob divers, weiblich oder männlich, besser leben können, weil sie sich in ihrer Menschlichkeit frei entfalten können und die Zwänge starrer Rollenbilder abwerfen. Dieser Satz entspricht unserem grundlegenden Verständnis von gesellschaftlichen Verhältnissen, die von Menschen gemacht und daher immer auch veränderbar sind. Wie Simone de Beauvoir es gesagt hat, „on ne naît pas femme, on le devient“ – „Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werden dazu gemacht“ – und dies lässt sich auf alle Menschen übertragen, gerade auch auf Männer. Die Benachteiligung von Frauen gilt in der SPD mit diesem Satz nicht mehr als „Nebenwiderspruch“, als nachrangiges Problem neben der großen Aufgabe, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufzulösen und den Menschen mit der Natur zu versöhnen. Zu dem komplexen Verhältnis zwischen Patriarchat und kapitalistischer Gesellschaftsordnung und der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen wäre an dieser Stelle viel zu sagen, worauf ich jedoch verzichten will. Denn mir geht es heute darum, zu dem zitierten Satz zurückzukehren und aufzuzeigen, wie sehr du seine beiden Teilaussagen und ihre Verknüpfung vorbildhaft in deiner politischen Arbeit verkörperst.

„Wer die menschliche Gesellschaft will…“ lautet der erste Teil dieses Satzes: Die Veränderungen hin zu dieser „menschlichen Gesellschaft“ wollen wir Sozialdemokrat*innen erreichen – und dafür stehst in Erlangen ganz besonders auch du, liebe Gisela, in äußerst überzeugender und glaubwürdiger Weise. Die Bekämpfung von sozialer Ungerechtigkeit, von fehlenden Chancen und Diskriminierung, prägt seit Jahrzehnten deine politische Arbeit. Für dich geht es dabei nicht allein um die Menschen in unserer Stadt, sondern auch um demokratische Grundrechte in unserem Land, um die Rechte von Arbeitnehmer*innen und den Schutz vor Ausbeutung und Gewalt. Es geht dir um die Chance auf Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben für alle Menschen und um grundsätzliche sozialpolitische Fragen wie die Kritik an den Hartz IV-Gesetzen, um das Recht auf anständige Arbeit und angemessene Wohnverhältnisse, um die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, kranken und drogenabhängigen Menschen, um alte Menschen oder um Geflüchtete – und um Solidarität mit Menschen weltweit, ob in Kriegsgebieten oder in ärmeren Ländern wie Nicaragua. Dabei bist du dir stets dessen bewusst, dass die Feinde der Demokratie, alte wie neue Nazis, zugleich zum Angriff auf Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit blasen. Aktiver, mutiger Antifaschismus und die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus haben deshalb in deinem Konzept sozialdemokratischer Politik hohe Priorität.
Als „Kämpferin für Gerechtigkeit“ wie dich Philipp Dees anlässlich deines 65. Geburtstags genannt hat, erhebst du deine Stimme bei jeder sich bietenden Gelegenheit für alle übersehenen und diskriminierten Menschen und empörst dich aus tiefstem Herzen und voll gerechtem Zorn über den Mangel an Berücksichtigung, Teilhabechancen und Unterstützung. Wo du selbst politisch gestalten kannst, tust du alles, um konkrete Verbesserungen zu erreichen. Wir verdanken dir den ersten Armutsbericht, die Optionskommune mit Spielräumen in der kommunalen Arbeitsmarktpolitik und eine Vielzahl von Fortschritten in der Betreuung alter Menschen in Erlangen. Als Bürgermeisterin, länger jedoch in der Zeit nach 1996, als Stadträtin in Oppositionszeiten, hast du mit deiner unanfechtbaren Expertise, deinem klaren analytischen wie pragmatischen Denken und Handeln, die Sozialpolitik in Erlangen entscheidend geprägt – und uns so auch ein Stück weit darüber hinweggetröstet, dass das Sozialreferat bis 2020 nicht mehr sozialdemokratisch geführt war. Menschen mit Behinderung, die ihre Rechte auf Teilhabe einfordern, hast du äußerst entschlossen und häufig erfolgreich unterstützt – auch in dem Anliegen, dass die Erlanger „Euthanasie“-Morde endlich in gebührender Form Gedenken erfahren werden. Du hast dein Stadtratsmandat dafür genutzt, einen Antrag für die Schaffung eines Lern- und Gedenkortes auf dem Gelände der Hupfla durchzusetzen, der einen wichtigen Impuls für die weiteren Schritte zur Realisierung dieses Projekts gesetzt hat. Beispielhaft für dein Engagement, das du mit schier unerschöpflichem Krafteinsatz, deinem beeindruckenden Verhandlungsgeschick und deiner sozialen wie fachlichen Kompetenz einbringst, sei zudem das BIG-Projekt genannt, ein bundesweit beachtetes Modellprojekt für benachteiligte und insbesondere migrantische Frauen, das ihnen Zugang zu Bewegung und Gesundheitsförderung bietet und ohne deinen Beitrag nie in dieser Form umgesetzt, geschweige denn seit vielen Jahren fortgeführt worden wäre. Als Aufsichtsrätin der Gewobau hast du Entscheidendes dazu beigetragen, Barrierefreiheit in den Sozialwohnungen voranzubringen und dich mit aller Kraft jeglichem Ansatz einer Privatisierung entgegengestellt. Neben all den Terminen und Sitzungen, dem Aktenstudium und den unzähligen Telefonaten warst und bist du ganz persönlich ansprechbar für Menschen in Not und vermittelst ihnen wo du kannst konkrete Hilfsangebote – ein weiterer deutlicher Beleg deines Engagements und deiner Glaubwürdigkeit. Als du 2008 zu unserer großen Freude in den mittelfränkischen Bezirkstag – gewissermaßen ein Kommunalparlament für Sozialpolitik – gewählt wurdest, konntest du dort deine Handlungsfelder inhaltlich und geographisch erweitern und als herausragend kompetente Sozialpolitikerin Missstände erkennen, anprangern und zu ihrem Abbau beitragen. Auch dorthin haben dich die Themen der Inklusion von Menschen mit Behinderung und von psychisch kranken Menschen begleitet.
Liebe Gisela, du hast mir mitgegeben, dass deine Arbeit für Gleichstellungspolitik heute im Vordergrund stehen soll. Darauf möchte ich jetzt, ausgehend vom zweiten Teil des zitierten Satzes, zu sprechen kommen: „Wer die menschliche Gesellschaft will – und das willst du, wie wir alle wissen – muss die männliche überwinden“ Oder, mit den Worten der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie: „We should all be feminists.“
Vorurteile und Benachteiligung, mit denen Frauen* in unserer Gesellschaft zu kämpfen haben, sind dir auch in deinem persönlichen Leben vielfach begegnet. Ist es Zufall, dass nur dann, wenn Frauen in Erlangen Bürgermeister*innen und zugleich Referent*innen sind, diese Funktion als „ehrenamtlich“ – und damit nicht sozialversichert – ausgestaltet wird? Kaum anzunehmen! War im Zusammenhang mit Männern, die als Oberbürgermeister kandidiert haben, in der Presse je von ihrer Körpergröße die Rede? Selbstverständlich nicht!

Du bist mit der ersten Reißverschlussliste 1990 in den Erlanger Stadtrat gewählt worden, warst 1996 unsere erste Oberbürgermeisterkandidatin und hast damit eine wichtige Vorbildrolle für Frauen in der Politik übernommen. Die Bezeichnung „Quotenfrau“ hast du nicht als die Geringschätzung aufgefasst, die sie darstellen sollte, sondern stets mit Stolz und in Solidarität mit anderen politisch engagierten Frauen getragen. Als Frau, der es gelungen ist, die vielfachen Hürden zu überwinden, die Frauen auch in den Gewerkschaften und in der SPD in den Weg gestellt werden, hast du daraus nicht wie manch Andere den Schluss gezogen, „frau könne es schaffen, wenn sie nur gut genug sei“, sondern unermüdlich auf die vielfältigen Dimensionen der Benachteiligung von Frauen hingewiesen. In diesem Sinne hast du als Bürgermeisterin Bürgerinnenversammlungen geleitet, auf die Stärkung der Erlanger Frauenprojekt ebenso gedrängt wie auf eine angemessene Berücksichtigung von weiblichen Kulturschaffenden oder die Frauenförderung innerhalb der Stadtverwaltung. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, von sexualisierten Angriffen auf Frauen und Mädchen, war für dich nie eine sogenannte „freiwillige Leistung“ der Stadt, die man in Zeiten knapper Haushaltsmittel beschneiden könnte, sondern eine unverzichtbare Aufgabe im Sinne der kommunalen Daseinsvorsorge. Aus diesem Grund hast du dich als Bürgermeisterin und Sozialreferentin wie als Stadträtin unermüdlich für Projekte wie das Erlanger Frauenhaus oder den Frauennotruf für vergewaltigte Mädchen und Frauen eingesetzt, ebenso wie für die Anlaufstellen auf der Bergkirchweih, die Frauen Schutz vor Belästigung und Gewalt bieten. Auf deine Initiative geht auch die Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Stadtplanung in den 90er Jahren zurück, der erstmals die Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse von Frauen ebenso wie von Senior*innen eingefordert hat und nach wie vor Vorbildcharakter besitzt. In allen Fragen, die das Thema Gesundheit betreffen, hast du neben der sozialen Dimension auch die Genderaspekte in der Medizin benannt und auf ihrer Beachtung bestanden. Wenn wir als SPD-Fraktion im Stadtrat in den letzten Jahren gefordert haben, aktuellere Themen, wie die Digitalisierung oder den Klimawandel, von Anfang an auch unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit zu diskutieren, können wir damit auf deine beispielhafte Arbeit aufbauen.
Ein Kapitel für sich bildet deine Tätigkeit im Verwaltungsrat der Erlanger Sparkasse, wo du als einzige Frau die Eigenheiten studieren konntest, die viele Männer in nahezu rein männlich besetzten Gremien an den Tag legen. Die Welt der bayerischen Sparkassen lag zu deiner Zeit in punkto Frauenförderung weit hinter anderen Unternehmen, ja sogar noch hinter den Geschäftsbanken, zurück. Dass wir demnächst in Erlangen – endlich! – ein weibliches Vorstandsmitglied an der Spitze unsere Sparkasse sehen werden, ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, die mit deiner unerschrockenen Beharrlichkeit den Anfang genommen hat.
Dein unglaublich umfangreiche, höchst fundierte und fachkundige politische Arbeit hast du seit 1996 rein ehrenamtlich ausgeübt – aber eigentlich warst du über viele Jahre die einzige hauptberuflich und in Vollzeit tätige Politikerin hier bei uns, die dies ohne angemessene Entlohnung und soziale Absicherung geleistet hat. Diejenigen von uns, die direkt mit dir zusammenarbeiten durften, können das Ausmaß deines Engagements einschätzen, für viele Andere bleibt es wohl kaum vorstellbar. Als selbstverständlichen Bestandteil deiner Arbeit hast du dabei immer die Beteiligung an Veranstaltungen, Infoständen und Mitgliederversammlungen deiner Partei begriffen. Wie wichtig es dir war und ist, dort mit Bürgerinnen und Bürgern und besonders mit deinen Genossen und Genossinnen zu diskutieren, konnten wir an deiner Ernsthaftigkeit in den Debatten, am Zuhören und Ernstnehmen deines Gegenübers, sehr deutlich erkennen. Du hast dich in deiner SPD, in Distrikten, im Kreisverband Erlangen und in unserem Unterbezirk nicht nur als sehr aktives und präsentes Mitglied beteiligt, sondern darüber hinaus auch Positionen in den Vorständen übernommen und dich in diesem Rahmen in überaus verlässlicher und wertvoller Weise eingebracht. Stellvertretend sei hier dein langjähriges Engagement für den Frauenempfang zum 8. März zu nennen, die bestbesuchte öffentliche Veranstaltung der SPD vor Ort.
Für alles, was du für deine Erlanger SPD, für unsere Ziele, unser Profil und unsere Glaubwürdigkeit getan hast, und all das, was du für die Menschen in Erlangen in all den Jahren erreicht hast, möchten wir dir heute danken. Eine würdigere Trägerin der August-Bebel-Uhr kann es nicht geben! Herzlichen Glückwunsch, liebe Gisela, alles Gute und weiterhin viel Erfolg im Einsatz für deine Herzensthemen.