Rede von Sandra Radue auf der Jahreshauptversammlung der SPD Erlangen am 14. März 2013
Liebe Genossinnen und Genossen,
bei der Erarbeitung des Gleichstellungsberichts habe ich das noch nicht so alte Jahr einmal Revue passieren lassen.
Am 14. Februar haben in 205 Länder Menschen an der Aktion „One billion rising“ teilgenommen. Bei dieser Aktion geht es darum, aufzustehen und gegen Gewalt an Frauen zu protestieren. Die Zahl one billion – deutsch eine Milliarde – kommt von Schätzungen der UN, dass ein Drittel aller Mädchen und Frauen in ihrem Leben Opfer von Gewalt wird. Eine Milliarde Frauen und Mädchen!
In Erlangen haben mehrere Hundert Frauen an der Kundgebung und dem Flashmob teilgenommen und damit deutlich machen wollen, dass Gewalt gegen Frauen ein aktuelles Thema ist. In den Medien wurde über die Aktion berichtet. Über die alltägliche Gewalt gegen Frauen finden wir dagegen wenig in den Zeitungen, es sei denn, sie spielt sich in Indien ab. Ich denke, es ist leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen, als den Missstände im eigenen Land genauer unter die Lupe zu nehmen. Die alltägliche Gewalt ist oft sehr versteckt. Sie passiert in den Familien, sie passiert am Arbeitsplatz, sie versteckt sich hinter sexistischen Bemerkungen, Reduzierung vorn Frauen auf den Körper, auf ihr Geschlecht. Hier werden in Taten und auch in Worten Frauen diskriminiert, Frauen deutlich gemacht: „Du bist schwach. Ich kann dich verletzen. Ich habe Macht über dich.“
Im Januar haben wir ja schon lernen müssen, dass dieser Sexismus auch in der Politik salonfähig ist. Da dominierte Herr Brüderle mit seinem „Herrenwitz“ die Medien. Endlich die Debatte über Sexismus, die so lange schon überfällig ist? Leider nein. Zum Teil wurde über den Zeitpunkt der Veröffentlichung diskutiert, Verharmlosungen waren an der Tagesordnung, in einigen Medien wurde darüber spekuliert, warum die Journalistin Laura Himmelreich vom Stern ihren Artikel gerade nach der Nominierung zum Spitzenkandidaten veröffentlichte. Andere Fragen wären dabei meiner Meinung nach relevanter gewesen: Warum glaubt ein Spitzenkandidat einer liberalen Partei, er könne eine Journalistin auf ihre Oberweite ansprechen, ohne dass dies zum Skandal wird? Welche Einstellung Frauen gegenüber herrscht hier vor? Wie hoch ist noch mal der Frauenanteil in der FDP? 23 Prozent. Wen wundert’s.
Da erfreut es, dieser Tage einen Gastkommentar in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau zum Frauentag erschien. Revolution im Verhältnis der Geschlechter lautet er. Geschrieben von Claudia Roth und Sigmar Gabriel. Lesenswert: Grüne und SPD wissen, was in der Gesellschaft falsch läuft. Und hier werden die richtigen Schlüsse gezogen: Wirtschaft und Politik müssen die Bedingungen für eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter sorgen: durch gleichen Lohn für gleiche Arbeit, durch das Zurückdrängen von Minijobs, durch vielfältige Angebote zur Kinderbetreuung und durch ein faires Steuerrecht, um die eigenständige Existenzsicherung für Frauen zu erreichen. Schön, dass diese beiden Akteure klar machen, wohin es geht: Nur Rot-Grün kann eine fortschrittliche Gleichstellungspolitik voran bringen. Die bloße Vorstellung einer FDP-Frauen-Ministerin macht das Unvorstellbare dann doch vorstellbar: Dass es nach Kristina Schröder mit ihrer unsäglichen Herdprämie tatsächlich noch schlimmer kommen kann.
Eines nur macht mich stutzig: Warum hat den Artikel denn eigentlich auf SPD keine Frau geschrieben? Versteht mich nicht falsch: Ich freue mich über jeden Mann, der für die Gleichstellung kämpft. Lieber wäre mir aber eine Parteivorsitzende oder eine Kanzlerkandidatin der SPD. Oder beides. Dass sozialdemokratische Frauen regieren können, machen uns Malu Dreyer und Hannelore Kraft in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen vor. Nur bei der Bundespartei ist das noch nicht angekommen.
Vielleicht ist es bei uns dann doch nicht so gut um die Gleichstellung bestellt, wie unser Programm vorsieht.
Schauen wir mal in unserer eigenen Partei: Die Frage des Kanzlerkandidaten haben doch mal wieder drei Männer unter sich ausgemacht. Dass das alles auch noch unter demokratischen Gesichtspunkten sehr bedenklich lief, sei hier nur mal am Rande so eingeworfen.
Bedenklich finde ich zudem, dass wir auch in Mittelfranken eine Landtagsliste haben werden, die mehr Männer als Frauen als Direktkandidaten vorsieht. Damit ist die Liste nicht quotiert! Ich finde dies beschämend, aber natürlich kann ich dem Argument nichts entgegenstellen, dass Frauen nicht zu nominieren sind, wo sie nicht kandidieren. Warum kandidieren sie nicht? Da hat sicher jede einzelne ihre persönlichen Gründe. Unsere Aufgabe ist es, genauer hinzusehen und zu überlegen: Stehen nicht doch strukturelle Probleme dahinter, dass Frauen nicht in der ersten Reihe stehen? Dass sie lieber Schriftführerinnen, Kassiererinnen, Stellvertreterinnen sind? Die herausgehobene Position bei der Bewerbung um ein Mandat scheuen viele.
In Erlangen sieht es insgesamt nicht ganz so schlecht aus.
- So haben wir im Stadtrat von 14 Sitzen (13 plus Referent Kultur Jugend Freizeit) 7 durch Frauen besetzt.
- Kreisvorstand und Delegationen sind natürlich aufgrund unserer Satzung quotiert.
- Bei den Mandantsträgerinnen bzw. der Betreuung durch Nachbarwahlkreise, wo wir selber keine Mandate erringen konnten ist das Bild sehr weiblich geprägt: Gisela Niclas (Bezirk), Betreuung durch Kerstin Westphal (Europa), Marlene Rupprecht (MdB) und Angelika Weikert (MdL), somit 100 Prozent.
- Von 9 Distrikten haben 3 eine Vorsitzende (Frauenaurach, Dechsendorf und Süd).
Wir sollten uns aber fragen, ob dies ausreicht. Sind Frauen präsent bei Veranstaltungen? Beteiligen sie sich an den Diskussionen? Und wenn nicht, warum ist das so? Ist die Mitarbeit in unserer Partei wirklich möglich angesichts der immer noch ungleichen Verteilung von Familienarbeit? Welche neuen Möglichkeiten und Formen der Partizipation bieten sich an?
Denn die Zahlen zeigen, dass wir bei der Mitgliedschaft der Frauenanteil weiter sinkt. Im letzten Jahr von 35,5 auf 34,5 Prozent. Das liegt daran, dass sich bei den Austritten die Zahlen von Männern und Frauen die Waage halten, aber bei 13 Eintritten nur zwei Frauen dabei waren.
Same Procedure as every year. Wir schaffen es nicht, diesen Abwärtstrend aufzuhalten. Deshalb sollten wir den Wahlkampf auch aktiv dazu nutzen, Frauen anzusprechen, klar zu machen, dass wir eine Politik für Frauen machen. Und wir machen sie ja auch mit Frauen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
diese Aufgabe ist nicht im Vorstand zu lösen. Das ist eine Aufgabe für die gesamte Partei. Jeder Distrikt und jede AG muss für sich überlegen, wie es zu schaffen ist, Frauen für unsere Partei zu begeistern. Nur so kann eine echte Gleichstellungspolitik auch glaubwürdig sein.
Lasst mich deshalb in guter alter Tradition das Berliner Programm zitieren (das werde ich im Gleichstellungsbericht bestimmt nicht das letzte Mal gemacht haben):
„Unter der Spaltung zwischen männlicher und weiblicher Welt leiden beide, Frauen und Männer. Sie deformiert beide, entfremdet beide einander. Diese Spaltung wollen wir überwinden. Wir fangen bei uns selbst an. Der rechtlichen Gleichstellung muß die gesellschaftliche folgen. Dies bedeutet nicht die Integration der Frau in eine Männerwelt, sondern die Umgestaltung der Gesellschaft. […] Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden“ (Berliner Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands)