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Respekt für unsere Arbeit

Christian Beck ist Abteilungsleiter Bauwirtschaft im Bundesvorstand der IG BAU. Foto: IG BAU

Von Christian Beck, Abteilungsleiter Bauwirtschaft beim Bundesvorstand der IG BAU

Kurz nach dem 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiter*innen, endet auch die Erklärungsfrist zum Schiedsspruch für die Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe. Dabei geht es um mehr als nur um die Frage, ob die über 900.000 Beschäftigten des Bauhauptgewerbes ab 1. Mai 2024 deutliche Einkommenserhöhungen und damit ein Stück mehr Respekt für ihre Arbeit bekommen. Der Ausgang wird auch einiges darüber aussagen, wie es mit der Tariflandschaft in einer der größten Handwerksbranchen weitergeht.

Die Tarifsituation im Bauhauptgewerbe ist im Vergleich zu anderen Branchen komplex: Die Branche besteht aus über 900.000 Beschäftigten, die sich auf weit über 80.000 Betriebe verteilen. Zwei Spitzenverbände, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) schließen Tarifverträge ab, wobei im ZDB die Innungsbetriebe (Handwerk) organisiert sind.

Sozialpartnerschaft im Wandel

Bemerkenswerterweise existieren in den meisten Bau-Branchen (z.B. bei den Dachdeckern oder auch im Baunebengewerbe, wie bei den Malern) Flächen-Tarifverträge und fast überall gibt es tarifliche Mindestlöhne, die über eine Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) den fairen Wettbewerb ordnen. Diese Mindestlöhne wurden in den 1990er Jahren im Bauhauptgewerbe erstmals und gegen den massiven Widerstand der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) vereinbart. All das zeugt auch von einer konsequenten Form der Sozialpartnerschaft, die für das Zusammenwirken der Tarifvertragsparteien in der Bauwirtschaft jahrzehntelang prägend war. Über ein sehr komplexes Tarifvertragswerk wurde über Jahrzehnte hinweg versucht, den besonderen Arbeitsbedingungen am Bau Rechnung zu tragen. All das hat auch die großen Krisenjahre der Bauwirtschaft überstanden. Denn schlussendlich war allen Beteiligten klar, was auf dem Spiel steht – für die Beschäftigten genauso wie für die Betriebe.

Doch seit den 2010er Jahren scheint hier einiges ins Rutschen gekommen zu sein und heute könnten wir am Vorabend einer anderen Form der Zeitenwende stehen.

Die Verhandlungen im Bauhauptgewerbe gestalten sich seit Jahren schwierig und Verhandlungsergebnisse gab es eigentlich faktisch nur noch unter Beteiligung eines unparteiischen Schlichters. Grundlage hierfür bildet ein Schlichtungsabkommen, das es – in aktualisierten Fassungen aus dem Jahr 1978 – am Bau seit den 50er Jahren gibt. Bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens (nach Anrufung dauert dies zwei Wochen) herrscht (eine verlängerte) Friedenspflicht. Scheitert die Schlichtung, können Arbeitskämpfe durchgeführt werden.

Aktueller Schlichter ist der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts, Prof. Dr. Rainer Schlegel.

Dass es überhaupt seit Jahrzehnten ein entsprechendes Abkommen gibt, ist ein Zeichen gemeinsamen sozialpartnerschaftlichen Verständnisses. Bei allen Interessensgegensätzen gab es noch immer genug verbindende Elemente, die beide Seiten nicht aufs Spiel setzen wollten. Dazu gehört auch SOKA-BAU deren Träger HDB, ZDB und die IG BAU sind. Hinter der Dachmarke SOKA-BAU stehen die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse (ULAK) und die Zusatzversorgungskasse (ZVK) Beide Kassen sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Die ULAK und die ZVK haben die Aufgabe, Urlaubsansprüche zu sichern, Versorgungslücken zu schließen und die Berufsbildung finanziell zu unterstützen. Beide Organisationen sind Non-Profit-Organisationen.

Dass eine Schlichtung nicht immer erfolgreich ist, zeigte sich zuletzt bei den geplatzten Mindestlohnverhandlungen im Jahr 2022. Damals hatten die Arbeitgeber den Schiedsspruch abgelehnt. Seitdem sind die Mindestlöhne am Bau Geschichte; das war besonders bemerkenswert, weil diese für das Bauhauptgewerbe in den 1990er Jahren überhaupt erst eingeführt wurden. Warum wir als Gewerkschaft aber nicht für Branchenmindestlöhne gestreikt haben, ist selbsterklärend.

Bau-Tarifrunde 2024

Nun also sollte es der Schlichter erneut richten, um die festgefahrenen Einkommensverhandlungen zu einem Ergebnis ohne Arbeitskampf zu bringen. Es mag verwundern, dass die IG BAU in einem Jahr, in dem der Wohnungsbau schwierige Zeiten durchlebt, für ihre Mitglieder eine Erhöhung der Einkommen um monatlich 500 Euro fordert – egal ob gewerblich, angestellt oder Auszubildende und sich die Forderung ausdrücklich auf 12 Monate Laufzeit bezieht.

Die Forderung passt nicht nur in die aktuelle Tariflandschaft, sondern sie basiert auch auf den Realeinkommensverlusten, die aus der langen Laufzeit des zuletzt im Jahr 2021 abgeschlossen Lohntarifvertrags resultieren. Und: Die Gewerkschaftsmitglieder wollen ihren Anteil am Erfolg der Branche haben. Denn diese hatte in den letzten zehn Jahren ein Rekordjahr nach dem nächsten erlebt. Und – diese Aussage wird alle überraschen, die nur die Meldungen über zurückgehende Genehmigungszahlen kennen – ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Klar: Die Nachfrage im Bereich des Wohnungsbaus ist deutlich zurückgegangen. Das zeigt zweifellos der Rückgang der Baugenehmigungen in 2023 von rund 27% gegenüber dem Vorjahr.

Das heißt aber nicht, dass es für das gesamte Bauhauptgewerbe schlecht aussieht. Richtig, die Zahl der Neubaugenehmigungen und die Auftragslage insgesamt sind rückläufig. Letztere bewegt sich noch immer auf dem Niveau des Rekordjahres 2018. Ein Jahr, in dem unsere Kolleg*innen aus den Betrieben; egal ob als Bauleiter*innen, Polier*innen oder einfach Maurer:innen und Abrechner*innen von einer erheblichen Arbeitsbelastung berichtet haben. Und: Der Wohnungsbau besteht nicht nur aus genehmigungspflichtigen Neubaumaßnahmen. Diese machen nur rund 30% des gesamten Wohnungsbauvolumens aus. Hinzu kommen Sanierungsarbeiten und Instandhaltungsmaßnahmen. Das hat dazu geführt, dass bei zurückgehenden Neubauzahlen die Firmen jetzt auch wieder Aufträge bedienen, die sie in den vergangenen Jahren nicht angenommen haben. Aber all das taucht in der Statistik nicht auf.

Hinzu kommt: Im Baugewerbe insgesamt ist in den zurückliegenden zehn Jahren richtig gutes Geld verdient worden und das wird es – auch im Wohnungsbau – noch immer. Und die Beschäftigten wissen das. Auch weil sie mitbekommen haben, dass Baubetriebe durch die hohe Inflation zusätzlich profitiert haben. Denn während die Lohnstückkosten im Baugewerbe seit 2019 um lediglich 27% gestiegen sind, sind die Unternehmensgewinne durchschnittlich um 97% gestiegen. Diese „Gewinnflation“ wurde nicht nur vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung, sondern auch vom arbeitgebernahen ifo-Institut hinreichend beschrieben.

Dass die Firmen also so abwehrend reagieren, lässt sich– bei allen nachvollziehbaren Sorgen einzelner Unternehmer:innen – nicht wirklich mit der ach so tiefgehenden „Krise“ der Branche erklären.

Im Gegenteil: Die Verbändepolitik der zurückliegenden Jahre zeigt, dass es um grundlegendere Angriffe auf die Tarifarchitektur geht.

Neoliberaler Irrsinn (re)loaded

Die Mindestlöhne sorgten über Jahrzehnte dafür, dass der Dumpingwettbewerb in Zaum gehalten wurde. Zudem sorgten sie dafür, dass trotz zu seltenen Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) die prekären Arbeitsverhältnisse nicht vollends ausuferten. Zahlen von SOKA-BAU zeigen deutlich, dass mindestens ein Drittel der Beschäftigten im Bereich der ehemaligen Mindestlöhne feststeckt; in Ostdeutschland sind es sogar mehr als die Hälfte. Das zeigt: Trotz einer für Handwerksverhältnisse relativ hohen Tarifbindung ist der Bau keine wirklich tariftreue Branche, das gilt vor allem für die kleinen Handwerksfirmen mit weniger als 20 Beschäftigten.

Gleichzeitig bläst der ZDB seit Jahren zum Kampf gegen das Urlaubskassenverfahren, durch das die Urlaubsansprüche der Beschäftigten gesichert werden. Was unter dem Vorwand von veränderten Branchenverhältnissen und angeblich zu hohen Belastungen der Firmen diskutiert wird dient am Ende dem Ziel, eine Deregulierung der Bau-Branche durchzusetzen.

Dass es diesen tarif- und sozialpolitischen Geisterfahrer:innen bei all dem nicht um fairen Wettbewerb oder gute Arbeitsbedingungen geht, sondern um völlige Freiheit für die Unternehmen, zeigt auch der andauernde Versuch, das Leiharbeitsverbot am Bau abzuschaffen.

Es zeigt aber auch: Diese Unternehmer:innen haben nichts aus der großen Bau-Krise Ende der 1990er bis in die 2000er Jahre gelernt. Zur Wahrheit der Branche gehört dazu: Nicht wenige der aktuell in der Stadt errichteten Bauten wird zwar von hier (oder benachbart) ansässigen Firmen erstellt. Aber außer ihren eigenen Polieren stellen sie fast kein eigenes Personal, sondern vergeben die eigentliche Bauleistung an Subunternehmer:innen, die Bauleute zum Einsatz bringen, die keiner Tarifbindung unterliegen und (wenn überhaupt) nur den Mindestlohn bezahlen.

Trauriges Zwischenfazit: Der nette Mittelständler von nebenan spielt dieses Spiel munter mit. Viele Firmen existieren vermutlich nur noch, weil sie ihren Beschäftigten zu niedrige Löhne zahlen. Vielleicht ist es ja einer der Gründe, warum der Bau trotz massivem Beschäftigtenaufbau in den vergangenen Jahren ein echtes Personalproblem hat. Der angebliche „Akademisierungswahn der Eltern“, den gerade das Handwerk und die Handwerkskammer so gerne bejammern wird es nicht sein. Vielleicht ist es neben den harten und familienfeindlichen Arbeitsbedingungen ja einfach das Gesamtpaket, das abschreckt.

Und damit kommen wir zu einem zusätzlichen Problem der Branche, das sich mit dem Frontalangriff der Baufirmen auf die Tarifverträge nur noch verschärfen wird.

Zukunftsproblem Personalmangel

Jeder Betrieb weiß: Wer heute die Branche verlässt, der kommt nicht so schnell wieder. Und so halten auch Firmen, die vielleicht gerade eine Durststrecke erleben, ihr Personal, um den absehbaren wirtschaftlichen Aufwärtstrend nicht zu verpassen.

Denn schlussendlich ist ein eklatantes Branchenproblem seit Jahren nicht behoben: Die Zahl der Arbeitskräfte und besonders der Facharbeiter und Facharbeiterinnen hemmt die Entwicklung der Branche. Einer Analyse von SOKA-Bau zufolge müssen, allein um altersbedingte Abgänge zu ersetzen, in den kommenden zehn Jahren mindestens 200.000 gewerblich Beschäftigte und Angestellte neu eingestellt werden. Es fehlt schlichtweg das Personal und jede Person die abwandert tut weh. Und auch der Einsatz von Entsendebeschäftigten wird nicht ausreichen, um die Kapazitäten für all die Bauaufträge der Zukunft bereit zu halten. Der – hoffentlich bald stattfindende – Wiederaufbau der Ukraine wird dieses Problem noch weiter verschärfen.

All das spricht dafür, dass die Unternehmen eigentlich ein echtes Interesse haben müssten, die Branche langfristig zu stabilisieren. Doch danach sieht es im Moment nicht aus.

Kommt es zum Bau-Streik in Erlangen?

Wo also stehen wir? Der Schlichter hat am 19. April einen Vorschlag unterbreitet, der von Arbeitgeberseite bereits am Verhandlungstisch abgelehnt wurde. Dank der Zustimmung der IG BAU gibt es nun überhaupt die Möglichkeit, dass die Tarifvertragsparteien überhaupt über einen Einigungsvorschlag abstimmen können. Dafür ist nun bis zum 3. Mai 2024 Zeit. Lehnt eine Seite ab, endet die Friedenspflicht und dem Bau steht der erste bundesweite Arbeitskampf seit 2002 ins Haus. Hinzu kommt: Wenn die Arbeitgeberseite erneut (wie schon beim Mindestlohn 2022) den Schiedsspruch ablehnt, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für ein Schlichtungsabkommen. Denn dann zeigt sich deutlich, dass es den aktuellen Verhandlungsführungen bei HDB und ZDB nicht um faire Kompromisse, sondern absurde Tarifdiktate geht.

Es soll sie noch geben, diejenigen Unternehmer*innen, denen der Kamikazekurs ihrer Verbandsvertreter*innen zuwider ist. Sie müssen sich fragen, ob sie weiterhin zulassen wollen, dass die Firmen, die alle Trends und Entwicklungen verschlafen haben, die Tarifpolitik ihrer Verbände dominieren. Die Frage ist nun, ob diese Bau-Arbeitgeber*innen bereit sind wieder Verantwortung zu übernehmen.

Tun sie es nicht, befinden wir uns spätestens ab 5. Mai im Arbeitskampf.

Arbeitskämpfe im Handwerk lassen sich nicht so führen wie in der stationären Industrie. Sie werden oft nicht öffentlich sichtbar, dafür härter und intensiver geführt.

Wenn es zum Streik kommen muss, dann steht aber nicht nur der Einkommenstarifvertrag auf dem Spiel. In der Perspektive wird es mittel- bis langfristig auch um die Sozialkassen und damit um das Urlaubsverfahren genauso wie um die Altersvorsorge der Branche und die Berufsausbildung gehen.

Die IG BAU ist bereit den Kampf anzunehmen und im Sinne der Bauleute zu Ende zu bringen. Denn unsere Kolleg*innen fordern zurecht von der Gesellschaft aber besonders von den Firmen: Respekt für unsere Arbeit!