Jahresschlussrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Florian Janik im Erlanger Stadtrat am 13. Dezember 2013
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich meine Jahresschlussrede unter ein ungewöhnliches Weihnachtsmotto stellen: „Offen aus Tradition“ – so zitiert man es gerne und oft in unserer Stadt, und eigentlich hätte es auch so etwas wie das Motto für dieses Jahr sein können und sollen.
Aber, Sie erinnern sich? Unser Erlangen war am Anfang des Jahres bundesweit in den Schlagzeilen wegen eines gnadenlosen Sheriffs, der in der Ausländerbehörde vermeintlich für Recht und Ordnung sorgte. Und dieses Thema, der Umgang mit Flüchtlingen, die auf der Suche nach Schutz zu uns kommen, bewegte uns das ganze Jahr. Mit der Ankündigung der Regierung von Mittelfranken, Flüchtlinge in einer größeren Zahl demnächst Erlangen zuzuweisen, hat das Thema wieder an Brisanz gewonnen.
Und was hat das mit Weihnachten zu tun, fragen sie sich jetzt vielleicht? Sehr viel, meine ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Denn Flucht und Flüchtlinge, Not und Unbarmherzigkeit passen gut zu Weihnachten und zur Weihnachtsgeschichte – ja sind sogar eine wichtige Botschaft dieses Festes. Maria und Josef waren zwar nicht direkt auf der Flucht, aber freiwillig war die Hochschwangere kurz vor der Entbindung sicher nicht auf einem Esel unterwegs. Sie mussten zur Volkszählung nach Bethlehem; sie waren in der Fremde, weit weg von zu Hause, suchten Schutz und Unterkunft. Auch wenn Herbergen nicht mehr frei gewesen sein sollen, einen Platz im Stall stellte man Ihnen großzügig zur Verfügung. Und den Rest der Geschichte kennen wir ja alle.
Leider gehen moderne Flüchtlingsgeschichten nicht immer so gut aus. Man kann und muss sogar sagen, dass sie in der Regel deutlich schlechter ausgehen. Viele der Menschen, die aus Ihren Heimatländern fliehen müssen, schaffen es nicht weit. Und die wenigen, die es bis an Europas Südflanke schaffen, werden dort von Frontex, dem Bundesgrenzschutz der EU, in der Regel aufgegriffen und – wenn es Ihnen gut ergeht – in Sammellagern interniert und dann wieder in das vermeintliche Herkunftsland, oft aber nur auf der anderen Seite des Mittelmeers, abgeschoben. Und dass es einigen von diesen noch viel übler ergeht und Frontex dann und wann auch vor massivem Gewalteinsatz nicht zurückschreckt, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Es wird ja bereits in den Spielfilmen am Sonntagabend in die Wohnzimmer der Republik gesendet.
Ja und die, die es doch irgendwie schaffen nach Deutschland zu kommen, werden in Lagern untergebracht, anschließend in Sammelunterkünften und dann meist abgeschoben. Und das geschieht manchmal so, dass man mit seinem gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehen kann, wie eine solche Praxis rechtmäßig sein kann. In Erlangen haben wir solche Fälle ja leider auch erleben müssen. Mitten in der Nacht wird da angerückt um abzuschieben. Familien werden auseinandergerissen, usw. Nur die wenigsten erhalten dauerhaft die Möglichkeit, sich in unserem Land anzusiedeln und hier heimisch zu werden. Und man hat den Eindruck, dass manche, ja zu viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger dies nicht nur richtig finden, sondern es geradezu begrüßen und fordern.
Ist das Offen aus Tradition? Sicher nicht.
Aber war es denn jemals anders? Wenn ja, dann doch wohl in Erlangen. Irgendwo muss das Motto ja herkommen. Aber leider ist da auch der Blick in unsere Geschichte nicht so erfreulich, wie wir uns das gerne zurechtlegen. Die Hugenotten, also protestantische Glaubensflüchtlinge, wurden in Erlangen anfangs eben auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Im Gegenteil. Der Unmut in der Bevölkerung war groß, wurden die Neuankömmlinge doch zunächst für eine Übergangszeit in den bestehenden Häusern untergebracht. Und wer rückt schon gerne so eng zusammen? Aber die Erlanger hatten damals keine Wahl. Der zuständige Adlige verfügte Ihre Aufnahme und hatte dabei wohl nicht nur Mitleid mit der armen protestantischen Glaubensbrüdern, sondern versprach sich vor allem auch wirtschaftlichen Aufschwung, denn die Hugenotten waren ausgezeichnete Handwerker. Und als einige Zeit später wieder Glaubensflüchtlinge, diesmal katholische, nach Erlangen kommen sollten, wehrten sich die Erlanger Seite an Seite mit den schon erlangerisierten Hugenotten gegen die Neuankömmlinge und setzten sich durch.
Wie ist das also mit dem „Offen aus Tradition“? Sind wir Erlanger offen, weil wir es immer schon gewesen sind. Wohl eher nicht. Sind wir heute überhaupt offen gegenüber Menschen, die zu uns kommen. Nun ja, sicherlich, die vielen internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Weltfirmen werden mit Ihren Familien in der Regel gut aufgenommen bei uns. Und auch die internationalen Gäste der Universität werden meist unspektakulär angenommen. Sie fallen uns ja auch nicht zur Last. Und bis auf ein paar unverbesserliche Rassisten, stört das hier niemanden.
Aber wie ist es, wenn es nicht so einfach ist? Wenn man zusammenrücken muss, weil ein Container in die Nachbarschaft kommen soll? Wenn man an die Stimmung auf der Versammlung vor kurzem hier im Ratssaal zu den Flüchtlingscontainern denkt, kommen einem da große Zweifel. Was ist da los? Warum fällt es vielen von uns so schwer, Mitleid für Flüchtlinge zu empfinden?
Meinen wir wirklich, dass diese Menschen nur zu uns kommen, weil wir hier unsere Sozialleistungen ein bisschen erhöhen? Überlegen wir doch mal! Wie hoch müssten die Sozialleistungen in, sagen wir mal Schweden sein, damit Sie hier Ihre Sachen packen und sich auf nach Schweden machen würden? Aber nicht als EU-Bürger mit allen Rechten, sondern als in seinen Grundrechten stark eingeschränkter Flüchtling. Mit Sammelunterkunft, Residenzpflicht und mit minimalem Taschengeld. Würden Sie dafür Ihre Familie, ihre Freunde, ihre Heimat einfach hinter sich lassen? Als hockerter Franke?
Oder fühlen wir uns bedroht? Fürchten wir uns vor den Fremden, vor dem, was wir nicht kennen und von dem wir nicht wissen, wie es sein wird? In einer Zeit, in der die Verunsicherung und die Unsicherheit immer weiter in alle Lebensbereiche dringen, erscheint es nur konsequent, dass man versucht neue Unsicherheiten zu verhindern, wenn man es kann. Aber bei allem Verständnis für dieses Gefühl, reicht es aus, damit wir uns das Recht herausnehmen, uns vor der Not der Menschen zu verschließen?
Ich glaube, wir müssen uns klar machen und immer wieder klar machen, dass Flüchtlinge zu allererst unser aller Mitgefühl verdienen. Damit Menschen Ihre Heimat zurücklassen, reicht es nicht, dass es Ihnen einfach nur schlecht geht. Die Situation muss unerträglich oder gar lebensbedrohend sein. Diskriminierung, Unterdrückung, Not oder Schlimmeres müssen auf der Tagesordnung stehen. Wie bei den Sinti und Roma, die derzeit aus Osteuropa zu uns kommen. Wie es Ihnen dort in Ihrer Heimat ergeht, kann man in vielen auch offiziellen Quellen nachlesen. Und ob es sich nur um sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder um echte politisch oder aus einem anderen Grund Verfolgte handelt, sollte dabei keine Rolle spielen. Ob die Menschen hierher fliehen, weil Sie in Ihrer Heimat keine Perspektive zum ökonomischen oder zum realen Überleben sehen, ist zwar ein juristischer Unterschied, ein moralischer sollte es aber nicht sein.
Wozu taugt es denn nun, dieses unser Motto „Offen aus Tradition“. Was ist es wert? Es eignet sich jedenfalls nicht, um es als Monstranz vor sich herzutragen. Ich denke, es muss für uns vielmehr Anspruch sein – Anspruch an jedem neuen Tag.
- Es soll uns motivieren an jedem Tag zu versuchen, den Menschen, die auf der Suche nach Schutz zu uns kommen, zu helfen, wo wir können.
- Es soll uns animieren auch in der Öffentlichkeit den dumpfen Parolen entgegenzutreten, die sich gegen Migranten und Migrantinnen richten.
- Es kann uns die Kraft geben, denjenigen die Angst zu nehmen, die der Aufnahme von Flüchtlingen mit Sorge entgegensehen.
- Und es kann uns den Mut geben, Probleme, egal wo sie auftreten, nicht wegzuleugnen oder zu übertünchen, sondern sie anzugehen und gemeinsam mit den Menschen zu lösen.
- Es soll für uns Ansporn sein, eine Stadtgesellschaft zu schaffen, die die Arme ausbreitet und die Menschen willkommen heißt, egal woher sie kommen und warum sie zu uns kommen.
„Offen aus Tradition“ ist nicht zuerst ein Logo für den Briefkopf und es ist kein Werbeslogan für das gute Image. Es richtet sich nicht nach außen, es richtet sich nach innen. Es richtet sich an uns selbst. Es ist ein Motto und es geht um das, was wir tun und nicht um das, was wir gerne vorgeben zu sein.
Zurück zur Weihnachtsgeschichte und zu einem Gedicht von Eduard Dietz:
Kein Platz in der Herberge
Zwei Menschen
ohne Obdach.
Eine werdende Mutter,
die nicht weiß,
wohin mit ihrem Kind.Zwei Menschen,
die bald drei sein werden,
allein in einer fremden Stadt,
ohne Hilfe,
und kein Platz in der Herberge.War das vor zweitausend Jahren?
Oder voriges Jahr?
Oder gestern?
Oder ist das nicht
jeden Tag,
irgendwo auf der Welt?
Lassen Sie mich zum Abschluss noch Danke sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Dank gilt Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit im vergangenen Jahr. Mein Dank in Ihrer aller Namen geht auch an den Oberbürgermeister, die Bürgermeisterinnen, die Referentenrunde, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der städtischen Töchter für die geleistete Arbeit in diesem Jahr. Ihnen Frau Lotter und Herr Friedel gilt mein besonderer Dank für die rundum gute Betreuung der Stadträte bei Ihrer Arbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, ich wünsche Ihnen und allen Menschen, die in unserer Stadt leben, egal woher sie gekommen sind und aus welchem Grunde sie hier bei uns leben, frohe Weihnachten und einen guten Start in das Jahr 2013.