Zum Inhalt springen

Kreismitgliederversammlung fordert „SPD erneuern!“

Mit klarer Mehrheit hat die Kreismitgliederversammlung der SPD Erlangen dem Antrag „SPD erneuern“ der Jusos Erlangen zugestimmt. Darin fordert die Erlanger SPD eine grundlegende Neuaufstellung der Partei. Dabei müsse es zu einer inhaltlichen, strategischen, personellen und organisatorischen Erneuerung kommen. Der Beschluss wird an den SPD-Bundesparteitag 2009 weitergeleitet.

SPD ERNEUERN

Beschluss der Kreismitgliederversammlung der SPD Erlangen vom 22.10.2009
AdressatInnen: SPD-Bundesparteitag 2009 (Initiativ)

Die SPD befindet sich in einer schweren Krise. Bei der Bundestagswahl hat sie das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik erzielt. Erforderlich ist jetzt eine intensive Diskussion über die inhaltliche, strategische, personelle und organisatorische Erneuerung der Partei.

Inhaltliche Erneuerung

Die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Bürgerinnen und Bürger haben uns trotz eines engagierten Wahlkampfs die richtigen Inhalte des Regierungsprogramms nicht abgenommen. In der Regierung haben wir häufig eine andere Politik verfolgt, als wir nun im Regierungsprogramm versprochen hatten. Wer sich beispielsweise im Programm für „Gute Arbeit“ einsetzt und mit der Politik der Agenda 2010 bewusst eine dramatische Ausweitung des Niedriglohnsektors befördert hat, der hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Einer der Hauptgründe des dramatisch schlechten Wahlergebnisses ist die Politik der Agenda 2010: Fast zwei Drittel der angestammten SPD-Wählerinnen und Wähler sagen, die SPD habe mit Hartz IV und der Rente mit 67 ihre Prinzipien aufgegeben. Das haben uns unsere Wählerinnen und Wähler nicht verziehen – und gingen entweder nicht zur Wahl oder wanderten ab. Das ergaben zumindest die Wahlanalysen der Umfrageinstitute. Daher brauchen wir eine konsequente und überzeugende Abkehr von der Politik der Agenda 2010. Die SPD muss zu einer Politik der sozialen Gerechtigkeit finden.

Die Menschen glaubten uns die im Wahlkampf versprochene Neuausrichtung vielfach nicht, was auch an der fehlenden Abgrenzung gegenüber früheren Fehlentscheidungen lag: Es funktioniert eben nicht, einerseits im SPD-Regierungsprogramm eine sozial gerechtere Politik einzufordern und andererseits die bisherige SPD-Regierungspolitik zu verteidigen. Die SPD muss die Agenda 2010 und ihre Folgen ehrlich, offen und konstruktiv aufarbeiten. Nur dann ist auch die Oppositionsrolle glaubwürdig, Ein einfaches „Weiter so“ kann es nicht geben.

Kurzfristig beinhaltet eine inhaltliche Neuausrichtung für uns Korrekturen der SPD-Positionen an folgenden Punkte, die sich im Wahlkampf als besondere Bürde erwiesen haben:

  • Rente mit 67: Die reguläre Altersgrenze für einen abschlagsfreien Rentenbezug muss wieder auf das 65. Lebensjahr abgesenkt werden. Der Einspareffekt der „Rente mit 67“ ist letztlich zu gering (ein um 0,5 Prozent geringerer Beitragssatz im Jahre 2030), als dass er diesen gravierenden Einschnitt in die Lebensplanung von Millionen von Beschäftigten rechtfertigen würde.
  • Änderungen bei Hartz IV: Arbeitslose Menschen müssen in unserer Gesellschaft menschenwürdig leben können. Eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze entsprechend der Forderung der Wohlfahrtsverbände ist deshalb unabdingbar. Um Kinderarmut zu begegnen, ist ein eigenständiger Regelsatz für Kinder erforderlich. Altersvorsorgevermögen ist anrechungsfrei zu stellen.
  • Frauen- und Gleichstellungspolitik: Die SPD hat Frauen- und Gleichstellungspolitik in den letzten Jahren stark auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduziert. Frauen- und Gleichstellungspolitik greift aber weiter. Die SPD muss daher ihr Verständnis und ihre Forderungen in diesem Bereich wieder deutlich erweitern.
  • Gerechte Steuerpolitik: Angesichts der gewaltigen Kosten der Finanzkrise sind einerseits die Verursacher mittels einer Börsenumsatz- und einer internationalen Finanztransaktionssteuer in die Finanzierungspflicht zu nehmen. Doch geht es darüber hinaus darum, im Rahmen der Steuerpolitik einen echten Lastenausgleich zu organisieren. Die SPD muss auf die Wiedereinführung der ausgesetzten Vermögenssteuer drängen, um die Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur entscheidend zu stärken.
  • Wege aus der Wirtschaftskrise: Wir müssen einen Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland und Europa weg von einer reinen gewinnbezogenen Exportwirtschaft organisieren. Denn die riesigen Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands (sowie Chinas und Japans) waren mitverantwortlich für die weltweiten Ungleichgewichte und die Weltwirtschaftskrise. Stattdessen benötigen wir eine Wirtschaft und Gesellschaft, die die lange vernachlässigten Bedürfnisse der Menschen im Inland in den Vordergrund stellt: Infrastruktur, Bildung, Weiterbildung, Forschung, Gesundheit und Pflege.
  • Paritätische Finanzierung der Sozialsysteme: Die SPD muss dafür eintreten, dass die Sozialversicherungen wieder vollständig paritätisch finanziert werden.
  • Korrekturen der Gesundheitspolitik: Die SPD muss ihre Gesundheitspolitik neu definieren. Dazu gehört, dass nicht mehr Ökonominnen und Ökonomen festlegen, was „medizinisch notwendig“ ist. Gesundheitliche Versorgung darf nicht zu einer Frage des Einkommens und der Rentabilität verkommen, die Übernahme von z.B. Krankenhäusern durch Finanzinvestoren muss verhindert werden. Die Zweiklassenmedizin muss überwunden werden, zuallererst durch die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und die Einführung einer BürgerInnenversicherung.
  • Abzug aus Afghanistan: Die SPD muss sich für einen sofortigen Strategiewechsel in der Afghanistan-Politik einsetzen. Die bisherige Strategie kann nicht zum Erfolg führen. Die Kampfeinsätze ziehen immer mehr zivile Opfer nach sich. Die dortigen Sicherheitskräfte müssen schnellstmöglich in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit im Land zu sorgen. Es ist höchste Zeit, eine konkrete Ausstiegssperspektive zu entwickeln. In spätestens zwei Jahren muss der Truppenabzug abgeschlossen sein.

Strategische Erneuerung

Die scharfe Abgrenzung von und das Ausschließen einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei hat die SPD in eine strategische Sackgasse manövriert. Die SPD ist dadurch bei der Koalitionsbildung immer von Union (schwarz-rot) oder FDP (rot-gelb-grün) abhängig. Beide Koalitionsoptionen sind in der Bevölkerung und insbesondere bei SPD-Anhängerinnen und -Anhängern unbeliebt.

Die SPD muss sich für neue Koalitionen öffnen. Dabei muss gelten: Es gibt weder automatische Bündnispartnerinnen, noch sind bestimmte Koalitionen ausgeschlossen. Die SPD koaliert mit den Parteien, mit denen sie die meisten ihrer Inhalte umsetzen kann.

Die SPD hat sich in den letzten Jahren von ihren potenziellen Wählerinnen und Wählern entfremdet. Sozialdemokratische Oppositionspolitik muss in den nächsten vier Jahren zum Ziel haben, den Weg zurück zu den Menschen vor Ort zu finden, um so verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ein klares Ziel muss für die SPD sein, den Dialog mit den Gewerkschaften, Sozialverbänden, Friedensinitiativen und anderen gesellschaftlichen Gruppen zu führen. Denn nur durch das Gewinnen von Bündnis- und Dialogpartnern in der Zivilgesellschaft kann die SPD ihr linkes Profil schärfen und sich so in der Bevölkerung wieder als vertrauenswürdige Kraft der sozialen Gerechtigkeit etablieren

Personelle Erneuerung

Der SPD fehlt Glaubwürdigkeit. Dies hat inhaltliche, aber auch personelle Ursachen. Trotz eines insgesamt guten Regierungsprogramms konnten wir die Wählerinnen und Wähler nicht von der SPD überzeugen. Die notwendige Erneuerung der Partei muss auch eine personelle Erneuerung bedeuten.

Organisatorische Erneuerung

In den vergangenen Jahren sind viele Entscheidungen der Partei an den Mitgliedern vorbei durchgesetzt worden oder bestehende Entscheidungen der Partei, wie etwa der Parteitagsbeschluss gegen die Bahnprivatisierung, wurden im Regierungshandeln einfach ignoriert. Die SPD lebt aber immer noch – gerade in Wahlkampfzeiten – von ihren Mitgliedern, die mit vollem Einsatz für ihre Partei kämpfen. Deshalb bedarf es auch einer Diskussion über die organisatorische Erneuerung der SPD, die zu mehr innerparteilicher Demokratie führen muss. Die SPD muss ihre Stärke als Mitgliederpartei wiedergewinnen, indem sie die demokratische Beteiligung all ihrer Mitglieder organisiert. Entscheidend ist es dabei auch, Konzepte zu entwickeln, die den Parteimitgliedern mehr Angebote zur Diskussion und Mitentscheidung bieten.

Mit einer solchen Neuaufstellung kann die SPD auch wieder erfolgreich sein und Mehrheiten für ihr Programm der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität gewinnen.