Wahrscheinlich tritt gerade das ein, was zu erwarten war: Die Auseinandersetzung um die Zukunft Europas nimmt an Schärfe zu. Der populistische Beitrag von Dorothea Siems in der Welt vom 8. Mai unter dem Titel „Hollande-Ruck der SPD grenzt an Vaterlandsverrat“ zeigt, dass die konservativen Kreise befürchten, dass der rigide und unsoziale Sparkurs von „Merkozy“ nun zu einem Ende kommen könnte. Diese Befürchtung ist für uns, die Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in Erlangen eine Hoffnung, denn hinter der aktuellen Debatte steht nicht nur die kontroverse Frage, wie auf die aktuellen Zustände von Seiten der Politik geantwortet werden soll, sondern auch in was für einem Europa wir leben wollen und nach welchen Idealen wir unsere Politik ausrichten wollen.
Die Wortwahl von Frau Siems lässt tief blicken, sie führt die Diskussion auch auf eine neue Ebene, die sehr leicht von Rechtspopulisten instrumentalisiert werden kann. Es geht ihr nicht mehr nur um einen Streit darüber, welche Ursachen die aktuelle Krise hat und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Diese Diskussion ist schon kontrovers genug, wurde aber zum Teil viel zu lange ignoriert. Jegliche Ansätze, die vom scharfen Sparkurs abweichen und die die Ursachen nicht nur in einem „über die Verhältnisse leben“ von „faulen Griechen“ gesehen haben, wurden mit dem klassischen TINA-Argument hinweggefegt: There is no alternative! Die Sparmaßnahmen seien alternativlos, die wirtschaftliche Notwendigkeit diktiert die politische Entscheidung und der eigentliche politische Entscheidungsspielraum wird immer weiter reduziert. Doch es gibt alternative Analysen und alternative Maßnahmen, Deutschland hat diese zum Teil sogar angewendet, um selbst aus der Krise zu kommen.
Diese vorgegaukelte Alternativlosigkeit wurde nun von Frau Siems erweitert zu einem Vaterlandsverrat. Sie greift damit Argumentationsmuster aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik auf und beschuldigt die Sozialdemokratie, den Niedergang Deutschlands voran zu treiben. Abgesehen davon, dass es völlig geschmacklos und geschichtsvergessen ist, zeigt dies auch die Ausrichtung der Politik, die Frau Siems vorschwebt. Sie fordert eine Rückbesinnung auf nationale Interessen, sie spricht von einem „Verrat am deutschen Bürger“ – im Duktus des „Vaterlandsverrats“ fehlt hier nur noch der Bezug auf die „nationale Volksgemeinschaft“.
Wir dachten eigentlich, dass diese Ideen und Interessen ein Anachronismus seien, wir dachten in einem vereinten Europa sei man über puren Nationalismus hinaus. Mit ihrer Polemik verrät Frau Siems die Ideale der Europäischen Union: Solidarität und Demokratie scheinen für sie Fremdwörter zu sein, denn die bisherige Ausrichtung des Fiskalpakts nach Merkel und Sarkozy ist weder solidarisch noch demokratisch, diese Maßnahmen sind antieuropäisch und gefährden die gesamte Idee eines friedlichen Europas. Der Wahlsieg Hollandes in Frankreich ist eine Chance für ganz Europa, um diese ideologische Alternativlosigkeit zu durchbrechen.
Nationalistisches Denken wird über kurz oder lang das Ende der Europäischen Union bedeuten, daher fordern wir endlich mehr Demokratie in Europa. Wir fordern eine Ausrichtung der Politik an den Interessen und Bedürfnissen der europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gleichgültig welche Staatsbürgerschaft sie besitzen. Denn auch wenn Frau Siems suggeriert, dass der Fiskalpakt den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands zu Gute kommen würde, ist diese Interpretation äußerst eingeschränkt und verkürzt. Im Moment werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den verschiedenen Ländern nur gegeneinander ausgespielt, auch hier muss es zu einem Umdenken und einer Rückbesinnung auf die Werte der europäischen Sozialdemokratie kommen. Wenn Frau Siems das als „Vaterlandsverrat“ bezeichnet zeigt sie, welchen Stellenwert sie den Idealen Europas beimisst.
Für eine Demokratisierung Europas! Gegen geschichtsvergessenen Nationalismus! Solidarität mit den ArbeitnehmerInnen Griechenlands!