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Friedensdemo vom 05.03.2022 – Redebeitrag von unserer Vorsitzenden Sandra Radue

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Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Ich sehe im Fernsehen und in den Zeitungen Bilder verzweifelten Menschen, die buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Diese Trümmer sind für mich ein Sinnbild für meine Gefühle und Empfindungen, die mich heute umtreiben.

Durch den Angriff Putins auf die Ukraine am 24.2. stehen wir in Europa, aber auch hier in Deutschland vor den Trümmern aller Bemühungen um das friedliche Zusammenleben der Völker. 

Und für alle Menschen, die in Deutschland, in Europa, auf den ganzen Welt für den Frieden kämpfen, macht sich ein Gefühl der Ohnmacht breit.

Wir sehen Menschen, die in Kellern die Nächte verbringen, aus Angst vor Bomben und Raketen. Wir sehen Millionen Frauen und Kinder über die Grenzen der Ukraine nach Westen fliehen. Wir sehen Männer, die sich unter Tränen von ihren Familien verabschieden, weil sie in den Kampf zur Verteidigung ihres Landes ziehen wollen oder auch müssen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der ich davon ausgegangen bin, meine Kinder würden so wie meine Generation und die meiner Eltern in einem Europa ohne Krieg aufwachsen, liegt in Trümmern – so wie große Teile der Städte der Ukraine.

Und ich persönlich stehe vor einem Berg von Fragen: War es naiv, mit Putin zu verhandelt, die Diplomatie auf allen Ebenen bis zuletzt und mit allen Mitteln zu versuchen?

Die Antwort darauf finde ich hier bei dem großen Sozialdemokraten Helmut Schmidt, der den Satz prägte „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als 1 Minute schießen“.

Auch wenn alle Bemühungen im Grunde nicht verhindert haben, dass Putin diesen Krieg begonnen hat, war es doch richtig, den Weg der Diplomatie bis zuletzt zu versuchen.

Und auf für die Zukunft wird es wichtig sein, diplomatische Kanäle offen zu halten. Dabei zähle ich auch auf die Kontakte, die in den Zivilgesellschaften aufgebaut wurden. Im nächsten Jahr feiert die Partnerschaft mit unserer russischen Partnerstadt Wladimir ihr 40jähriges Bestehen. Hier wurde unermüdlich dafür gearbeitet, dass die Gräben des zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges überwunden werden.

Manche sehen ihr Lebenswerk  in Trümmern, andere hoffen darauf, dass auch nach diesem Krieg eine Verständigung, ein Dialog und Freundschaften zwischen den Völkern wieder möglich sind. Daher ist die Forderung, die Städtepartnerschaften mit Russland ruhen zu lassen, für mich nicht nachzuvollziehen. Gerade jetzt ist es wichtig, Brücken zwischen den Nationen und Menschen nicht unsererseits einzureißen.

Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Dies ist nicht der Krieg Russlands. Dies ist der Krieg eines alten Mannes, der die Geschichte zurückdrehen will, ein russisches Großreich wiedererrichten will und jede Form von Demokratie im Keim ersticken will. Dies ist Putins Krieg.

Deshalb gelten meine Gedanken heute nicht nur den Menschen in der Ukraine, die unermessliches Leid ertragen müssen. Ich bin in Gedanken auch bei den Menschen in Russland, die sagen „Dies ist nicht unser Krieg“.

Amnesty International meldete bereits vor 5 Tagen an die 6000 Verhaftungen in Russland im Zuge von Demonstrationen gegen diesen Krieg. Unser Recht und unsere Freiheit, auf die Straße gehen zu können und für den Frieden zu demonstrieren, kennen Russinnen und Russen nicht. Welchen Mut es erfordert, sich in diesem autoritären Regime gegen die Machthaber zu stellen, erfüllt mich mit Respekt und Hochachtung. Sie sind die Hoffnung, dass in Russland ein Wandel stattfindet.

Machen wir uns nichts vor: Dies kann durchaus noch ein langer Weg sein. Denn nichts fürchtet Putin mehr, als die Demokratie. Er wird alles versuchen, die Menschen, die dafür in Russland kämpfen, zu unterdrücken, zu inhaftieren und ihre Stimmen zu ersticken.

Eine weitere Frage, die mich umtreibt: Können Waffen Frieden schaffen? Der Erlanger und Jenaer Friedensappell, unter dem wir gemeinsam zu dieser Versammlung aufrufen, fordert folgendes: den Sicherheitsinteressen der Ukraine, ihrer Nachbarstaaten aber auch Russlands durch den Verzicht auf die Stationierung von Waffen in relevanten Gebieten und durch substantielle Abrüstungsvereinbarungen Rechnung zu tragen.

Heute scheinen wir von diesem Ziel weiter entfernt denn je. Die Absicht der Regierung, ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro zu schaffen, um die Bundeswehr dauerhaft zu stärken hat mich am vergangenen Sonntag erschrecken lassen. Die ökologische Transformation angesichts des Klimawandels, die Reform unsere Gesundheitssystems nach der Pandemie, die Verhinderung einer noch tieferen sozialen Spaltung unserer Gesellschaft: All das fordert unsere Kraft, unsere Energie und viel Geld. Und wir dürfen auch die weltweiten Folgen dieses weiteren Krieges nicht ausblenden, denn allein schon durch den Ausfall von Getreidelieferungen drohen neue Hungerkatastrophen im globalen Süden. Viele Folgen können wir noch nicht absehen. Ist es in dieser Situation richtig, dauerhaft 100 Milliarden fest zu binden? Meine Partei, die SPD war immer eine Partei, die für den Frieden gekämpft, sich aber auch klar zu einer Bundeswehr zur Landesverteidigung unserer Freiheit bekannt hat. Die Politik von Willy Brandt und Egon Bahr war geprägt von Annäherung und Aussöhnung – aber auch von einem klaren Bekenntnis zu einem starken Bündnis und einer Zusammenarbeit der Demokratien in Europa und darüber hinaus. Und nach diesem Angriff Putins wird die Frage der Landes -und Bündnisverteidigung nun neu diskutiert. Aber: Einen neuen Rüstungswettlauf zwischen der Nato und Russland darf es auf keinen Fall geben. Mit Blick auf unsere hohen Verteidigungsausgaben bleibt die Frage richtig, ob die Bundeswehr wirklich von einer Unterfinanzierung geplagt ist oder ob nicht viel mehr strukturelle Probleme beim Management und der Beschaffung von Materialien das Hauptproblem sind. Ebenso wichtig bleibt aus meiner Sicht, dass der Parlamentsvorbehalt bestehen bleiben muss. Und das vorrangige, langfristige Ziel muss eine weltweite Abrüstung aller Armeen und die Abschaffung atomarer Waffen jeglicher Art sein.

Die Lieferung von Waffen an die Ukraine ist ein ebenso schwieriges Thema, das mich unermüdlich umtreibt. Verlängern die Waffen, die wir liefern nicht das Leid der Menschen in der Ukraine? Zieht sich dadurch der Krieg nicht weiter in die Länge? Sterben dadurch nicht noch mehr Menschen – Ukrainische Soldaten und Zivilisten, aber auch russische Soldaten, von denen viel, blutjung und wenig ausgebildet zum Teil gar nicht wussten, dass sie in den Krieg ziehen.

Aber ist es gleichzeitig nicht auch legitim, dass ein Land, dass sich nach Demokratie und Freiheit sehnt, die Möglichkeit erhält, diese Werte zu verteidigen? Und was kann man der Invasion Putins entgegensetzen, wenn nicht Flugabwehrraketen und Panzerfäuste? Eine Alternative ist die bedingungslose Kapitulation der Ukraine und die Schaffung eines weiteren Marionettenstaates nach dem Vorbild von Belarus. Können wir dies wollen? Die Entscheidung ist gefallen, aber hier bleibt ein schaler Beigeschmack. Daher ist es wichtig, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass beide Länder am Verhandlungstisch einen Waffenstillstand vereinbaren und Friedensverhandlungen aufgenommen werden.

Liebe Freundinnen und Freunde, es gäbe noch viel zu sagen, zu den Ursachen dieses Krieges, zu wirtschaftlichen Verflechtungen, geopolitische Interessen, Sanktionen und vielem mehr. Auch die Folgen, die dieser Krieg weltweit nach sich ziehen wird, über Klimaschäden, Wirtschaftskrise und Energiekrise habe ich heute noch nicht angeschnitten Aber ich will es dabei belassen.

Denn eines soll heute im Mittelpunkt unseres Protestes stehen: Nichts rechtfertigt diesen grausamen Angriffskrieg gegen die Menschen in der Ukraine. Krieg darf nie und nirgends ein Mittel der Politik sein.