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Distrikt Tennenlohe: Diskussion über Bürgerversicherung

Anhand der vom Parteivorstand herausgegebenen Informationsbroschüre „Die solidarische Bürgervericherung – Fakten und Argumente“ haben wir über dieses komplizierte Thema beraten. Wir haben uns auf die Einnahmeseite beschränkt (also Effizienzsteigerung und Ausgabenreduzierungen zunächst ausgeklammert). Wir waren alle der Meinung, dass die solidarische Bürgerversicherung für die Absicherung des Krankheitsrisikos grundsätzlich gerechter und besser ist als die Kopfpauschale (CDU) oder eine komplette Privatversicherung je nach individuellem Gesundheitsrisiko (FDP).

Für richtig halten wir, dass neben den Lohn- und Gehaltseinkommen auch andere Einkunftsarten (z.B. Kapitaleinkünfte und Einkünfte aus Gewerbebetrieb ) herangezogen werden.

Folgende Kritik wurde geäußert:

  • Die Refom kommt mindestens 8 Jahre zu spät.
  • Eine Vereinfachung der Verwaltung ist nicht zu erkennen. Die mehr als 300 bestehenden gesetzlichen Krankenkassen und die privaten Versicherer sollen weiter bestehen bleiben. Die Erfassung zusätzlicher Quellen (Kapitalerträge , Gewerbeeinkommen) verursacht auch zusätzlichen Verwaltungsaufwand.
  • Über Beamte sagt die Broschüre nichts aus – die Vorstellungen der SPD müssen in diesem Punkt klarer dargestellt werden.

Ein wichtiges Ziel der Reform soll sein, dass die Beitragssätze gesenkt werden, um Arbeitskosten zu verringern. Trotzdem wird an der ungerechten Beitragsbemessungsgrenze festgehalten. Das ist völlig kontraproduktiv. Das Krankheitsrisiko ist kostenmäßig praktisch unbegrenzt. Warum soll dann der Beitrag begrenzt werden ? Wenn jemand ein Gehalt von 3000 Euro im Monat hat, muss er davon ca. 12 Prozent bezahlen. Hat er ein Arbeitseinkommen von 10.000 Euro , so zahlt er 12 Prozent von 3478 Euro, das sind nur 0,42 Prozent des Einkommens ! Die Bemessungsgrenze muss weg – zugunsten niedrigerer Sätze.

Auf der anderen Seite sollten auch geringfügige Einkommen (z.B. 400 Euro-Jobs) einbezogen werden. Die derzeigige Ungleichbehandlung hat mindestens zwei negative Folgen: Arbeitgeber drängen auf Minijobs, weil sie die Beiträge einsparen können und die 400 Euro-Arbeitnehmer belasten zumeist als kostenlos Mitversicherte die Versichertengemeinschaft. Hier sollte eine verwaltungsmäßig möglichst einfache Einbeziehung angestrebt werden.

Beiträge für versicherungsfremde Leistungen wie Mutterschaftsgeld oder Krankheitskosten für Sozialhilfeempfänger sollten vom Staat aus Steuermitteln bezahlt werden. (Evtl. höhere Mehrwertsteuer oder dreistufige Mehrwertsteuer wie in Österreich).

Als ein Problem wurde auch angesehen, wenn für derzeit privat Versicherte ein Übergang in die Bürgerversicherung unbegrenzt offengehaltenen wird. Versicherte, die in jungen Jahren trotz hoher Einkünfte nur geringe Prämie zahlen müssen, können im Alter, also wenn die Privatversicherung richtig teuer wird, in die günstige, beitragsbegrenzte Bürgervericherung wechseln. Folge: der Bürgerversicherung entgehen Einnahmen. Wenn der Wechsel nur begrenzt (z.B. im Jahr der Umstellung) zugelassen wird, besteht die Gefahr, dass kurz vor der Einführung der Bürgerversicherung viele gut Verdienende noch in die Privatversicherung zu alten Konditionen wechseln und damit der Bürgerversicherung entgehen. Wegen fehlenden Nachwuchses haben die Versicherungsgesellschaften und ihre Versicherten in Zukunft aber gewaltige Prämiensteigerungen zu erwarten.

Als Einzelmeinung wurde auch geäußert, das man das bisherige System verlassen und zu einem vollständig steuerfinanzierten System übergehen sollte.

Fazit: Die Materie ist ziemlich kompliziert. Wir halten es für wichtig, dass diese Reform wirklich solide ausgearbeitet und durchgerechnet wird, dass umfassend informiert und geworben wird und auch gegen mächtige Widerstände umgesetzt wird. Dann (aber nur dann !) kann die Reform auch auf breite Zustimmung stoßen.

Christoph Schnapper, Schriftführer (überarbeitetes Protokoll der Distriktversammlung vom 9.11.04)