Das Thema interessiert. Nicht nur die Anzahl der Interessierten von 90 Personen die der Einladung des SPD Kreisverbandes gefolgt waren, belegt dies. Auch die zahlreichen, ausschließlich zustimmenden Meinungsäußerungen im Anschluss an den gut 90minütigen Vortrag von Prof. Jochen Krautz zeigen die Präsanz des Themas.
Der Kunstpädagoge hatte vorher, ausgehend vom sogenannten „Pisa-Schock“ dargelegt, wie Bildung zunehmend unter den Druck von Kennzahlen, „Output“-Kriterien und unpädagogischem Effizienzdenken gerät. Schulen und Hochschulen würden wie Unternehmen geführt, Rektoren würden zu Managern. Der Staat ziehe sich aus der Verantwortung, Konzerne diktieren die Bildungsinhalte. Und am wenigsten gehe es um die Schüler. Welche Bildung Kinder und Jugendliche wirklich brauchen, dass man Menschenbildung nicht messen und zählen könne, gerate immer mehr in Vergessenheit. Bildung wird zur Ware.
Anhand zahlreicher Beispiele und mit genauen Begriffsklärungen analysierte Krautz, was im Bildungswesen wirklich läuft. Dabei bezog er selbst klar Position für eine Bildung, die Unabhängigkeit, Kritikfähigkeit, Menschlichkeit und demokratische Verantwortung stärkt.
Auf der Basis eines personal begründeten Bildungsbegriffs, der einmal wieder vor Augen führt, wozu Bildung eigentlich dient, resümierte Krautz zunächst das Elend aus 30 Jahren Bildungsreform und forderte: „Schluss mit Reformen!“ Statt immer neuer unsinniger Reformen und Verordnungen, die Lehrer von der Arbeit mit den Kindern abhalten, plädierte er für die Konzentration auf den Kern des pädagogischen Geschehens. Die Eltern ermutigte er zugleich, ihre Erziehungsaufgabe wieder bewusster wahrzunehmen. Nur in der konkreten, alltäglichen Erziehungs- und Bildungsarbeit von Eltern und Lehrern gemeinsam – statt wie so oft gegeneinander sei wirkliche Verbesserung von Bildung möglich. PISA nutze hierfür gar nichts. Im Gegenteil.
Nach dieser Grundlegung sezierte Krautz die „Schlagworte und Blindgänger der Bildungsökonomie“: Die überall kursierende Schlagworte von „lebenslangem Lernen“, „Kompetenzen“, „Bildungsstandards“ und „Qualitätsentwicklung“ bis zu „Humankapital“, „Output-Orientierung“ und „Autonomie“ wurden klar als Instrumente eines ökonomistisch verengten Bildungsbegriffs analysiert.
Anhand reichlicher und anschaulicher Beispiele aus der Praxis machte Krautz klar, dass statt Persönlichkeitsbildung eine Ökonomisierung des Geistes drohe: Bildung werde nicht nur materiell zur Handelsware, zur „Dienstleistung“, sondern Denken und Fühlen würden auf Effizienz, Konkurrenz und ein unhinterfragtes Mitschwimmen als flexibler, „kompetenter“ und natürlich „kreativer“ Arbeitsnehmer in globalisierten Konzernen zugerichtet. Solche ökonomisierte Bildung erscheine letztlich als geistige und seelische Vorbereitung auf weltweite wirtschaftliche Ausbeutung und Krieg.
Aus der systematischen Zusammenschau der Phänomene und ihrer Hintergründe ergebe sich ein Gesamtbild, das mehr stutzig mache: Dass und wie von WTO bis Bertelsmann internationale Wirtschaftsorganisationen und Konzerne letztlich unsere Bildungsdebatte bestimmen, sei höchst aufschlussreich.
In der abschließenden Diskussion zeigte sich, dass dieser Vortrag sowohl PädagogInnen als auch Eltern und Studierenden die Augen öffnete und auch an vielen Stellen Mut machte, kritisch nachzufragen. Sicher stellt sich der eine oder die andere nun die Frage, wie die Bürger die demokratische Selbstbestimmung über das Bildungswesen behalten, die von Politikern aller Parteien meistbietend verkauft wird.
Sandra Radue
Literatur: JOCHEN KRAUTZ: WARE BILDUNG. SCHULE UND UNIVERSITÄT UNTER DEM DIKATAT DER ÖKONOMIE. München/Kreuzlingen (Hugendubel, Reihe Diederichs) 2007, 255 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-7205-3015-6.