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Auf dem rechten Auge blind? Franz Schindler sprach zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Bayern

War Bayern angesichts der über mehr als ein Jahrzehnt nicht aufgedeckten Mordserie des „NSU“ auf dem rechten Auge blind? Nein, war die knappe Antwort von Franz Schindler, des Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses des bayerischen Landtags. Von Blindheit könne man angesichts des umfangreichen gesammelten Materials bayerischer Behörden zum Rechtsextremismus nicht sprechen. Sehr wohl aber sei man offenkundig nicht in der Lage gewesen, dass gesammelte Material richtig zu interpretieren. Die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus habe man nicht erkannt – oder nicht erkennen wollen –, die Existenz eines Rechtsterrorismus noch 2011 kurz vor der Selbstenttarnung der „NSU“ verneint.

Schindler referierte auf Einladung des Erlanger SPD-Landtagskandidaten Philipp Dees zu den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses und den daraus abzuleitenden Veränderungen beim Kampf gegen Rechtsextremismus. Er stellte dabei insbesondere das weitgehende Versagen des Verfassungsschutzes heraus: Neben der bereits ausgeführten Unterschätzung des Rechtsextremismus ging er dabei vor allem auf die Rolle der V-Leute ein: Eigentlich dafür gedacht, Erkenntnisse aus der Szene zu berichten, hätten viele der V-Leute versucht, eine führende Rolle in der Szene wahrzunehmen. Teilweise seien mit den Geldern des Verfassungsschutzes erst rechtsextreme Strukturen aufgebaut worden. Durch die Vielzahl von V-Leuten unterschiedlicher Geheimdienste seien diese teilweise damit beschäftigt gewesen, jeweils über das Verhalten anderer V-Leute an den Verfassungsschutz zu berichten. Erkenntnisse über rechtsextreme Strukturen, gar über die Entwicklung hin zu Gewalt und Terrorismus, hätten die V-Leute dagegen kaum beigetragen.

Ein weiteres Versagen machte Schindler bei der Polizei aus: Dort habe man Rechtsextremismus als Tatmotiv kaum in Erwägung gezogen, im Gegenteil: Entsprechende Ansätze zum Beispiel einer Fallanalyse habe man ausdrücklich zurückgewiesen; Aufträge zum Beispiel des damaligen Innenministers Beckstein, auch ein rechtsextremes Motiv zu prüfen, seien allenfalls halbherzig verfolgt worden. Während das Umfeld der Ermordeten, insbesondere die Familien, intensiv untersucht worden seien, habe man Zusammenhänge wie zum Beispiel den zwischen den Morden und dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße nicht untersucht – obwohl es Hinweise von Zeugen auf entsprechende Zusammenhänge gegeben habe, bis hin zur Aussage, dass sich die Täter stark ähnelten. Und auch zwischen Polizei und Verfassungsschutz habe es keine Kooperation gegeben, teilweise hätte die Polizei monatelang auf angefordertes Material vom Verfassungsschutz warten müssen und dieses dann nur unvollständig erhalten.

Schindler forderte als Konsequenz aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden insbesondere eine grundlegende Reform des Verfassungsschutzes. Dieser müsse auf die Beobachtung des Rechtsextremismus ausgerichtet werden und sich dabei für die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen öffnen, die oft besser über die rechtsextreme Szene informiert seien als der Verfassungsschutz selbst. Gleichzeitig müsse die Arbeit mit V-Leuten eingestellt werden, da sie sich als wenig hilfreich, wenn nicht sogar als kontraproduktiv erwiesen hätten. Künftig müsse der Verfassungsschutz außerdem wissenschaftlich begleitet werden.

Für die Polizei forderte Schindler eine höhere Sensibilisierung für die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgehe. Außerdem müsse die Zusammenarbeit zwischen Polizei und einem neu aufgestellten Verfassungsschutz verbessert werden.

In der anschließenden Diskussion wurden Schindlers Thesen weitgehend unterstützt. Wiederholt wurde auch darauf hingewiesen, dass rechtsterroristische Aktivitäten seit Jahrzehnten bekannt seien, aber wie beim Oktoberfest-Attentat oder dem Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen immer als Taten von „Einzeltätern“ eingestuft worden. Die Zusammenhänge und die Szene, in der sich die terroristischen Aktivitäten entwickelten, seien nie beleuchtet und dadurch unterschätzt worden.

Philipp Dees betonte, wie wichtig neben der Neuaufstellung der Behörden auch der Kampf der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus sei. Nur so könne es gelingen, den Rechtsextremismus dauerhaft an den Rand zu drängen und ihm damit auch den Boden für Gewalttaten oder terroristische Aktivitäten zu entziehen.