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Rüstung: Export abbauen – Produktion umbauen!

Beschluss der Kreismitgliederversammlung vom 17. Oktober 2013

I. Fakten und Hintergründe

1. Die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung: Rüstungsexportland D

Rüstungsexporte sind ein globales Problem: Im Zeitraum zwischen 2007 bis 2011 stieg laut einer Studie des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI das Volumen der Rüstungsgeschäfte weltweit um 25 Prozent an. Im selben Zeitraum steigerte die Bundesrepublik ihre Exporte um 37 Prozent.

In den letzten Jahren hat sich die Genehmigungspraxis der schwarz-gelben Bundesregierung von den Rüstungsexportrichtlinien von 2000 gelöst, die die Lage der Menschenrechte zu einem wichtigen Kriterium für die Zulässigkeit von Rüstungsexporten machten. Stattdessen zielt die Bundesregierung zunehmend auf eine strategische Aufrüstung einzelner Empfängerstaaten.

Zunehmend wird im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung der hohe Rang der Bundesrepublik beim Rüstungsexport nicht als Ausdruck einer wenig restriktiven Rüstungspolitik betrachtet, sondern auf den hohen Anteil an hochwertigen Rüstungsgütern zurückgeführt. Die Liste der Empfängerländer zeigt jedoch, dass Menschenrechte sowie die politischen Bedingungen in den Regimen der betroffenen Länder, entsprechend den „Politischen Grundsätzen“ der Bundesregierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten kaum eine Rolle spielen.

Die 10 Empfängerländer mit den meisten Einzelausfuhrgenehmigungen waren 2011 die Niederlande, USA, die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur,  Großbritannien, Irak, Italien, Algerien, Südkorea und Frankreich.

Insgesamt wurden 2011 Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 5,4 Milliarden Euro (14 Prozent mehr als im Vorjahr) erteilt, davon 58 Prozent in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, 42 Prozent in Drittländer, 9,3 Prozent der Ausfuhrgenehmigungen entfielen auf Entwicklungsländer, darunter vor allem der Irak, Indien und Ägypten.

Das zeigt, dass Deutschland massiv Rüstungsgüter in Krisen- und Spannungsregionen liefert.

Der wertmäßig größte Anteil an erteilten Rüstungsexportgenehmigungen entfiel auf „militärische Ketten- und Radfahrzeuge“, „Munition“ sowie „militärische  Luftfahrzeuge“. Die Handfeuerwaffen nehmen zwar nur den 9. Rang ein, sind  allerdings mit den meisten Einzelgenehmigungen besonders problematisch, da sie weltweit für die meisten Todesopfer in Konflikten verantwortlich sind.

68 Prozent (2010: 23 Prozent!) der tatsächlichen Ausfuhren an Kriegswaffen erfolgten 2011 in Drittländer (in der Reihenfolge des Lieferumfangs: Brunei, Singapur, Irak, Südkorea,  der Türkei, Brasilien, Großbritannien, Polen, Kanada, Vereinigte Arabische Emirate). Zu den tatsächlichen Ausfuhren im Bereich der sonstigen Rüstungsgüter werden im Bericht keine Angaben gemacht. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der hohen Anzahl von Einzelgenehmigungen das Volumen des Rüstungsexports deutlich zunehmen wird.

Rüstungsexporte werden zudem zunehmend erheblich verschleiert durch Komponenten-Aufspaltung der Aufträge und Lieferungen sowie durch internationale Kooperation der Rüstungskonzerne und Regierungen.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland laut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) mit einem Waffenexport-Anteil von ca. 7 Prozent am Weltmarkt an dritter Stelle, hinter den USA und Russland.

Der Rüstungsexportbericht liefert zudem kein vollständiges Bild der Rüstungsexporttätigkeit. So umfasst er nur die erteilten Exportgenehmigungen für Kriegswaffen und andere Rüstungsgüter, nicht aber die Gewährung von Lizenzen für den Nachbau deutscher Waffen im Ausland. Ebensowenig wird die Tätigkeit von privaten deutschen Sicherheits- und Militärunternehmen aufgeführt.

Bereits heute stehen dem Parlament keine ausreichenden und zeitnahen Informationsrechte zu Rüstungsexporten zur Verfügung. Dieser Trend droht sich durch internationale Entwicklungen zu verschärfen. So setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Rolle der NATO bei der Auswahl von Staaten zu stärken, in die Waffen exportiert werden können. Dadurch droht die Kontrolle über Rüstungsexporte dem Parlament noch stärker entzogen zu werden.

2. Ökonomische Bedeutung

Laut SIPRI betrugen 2011 die weltweiten Militärausgaben 1,74 Billionen US-Dollar, was 2,5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts bzw. 240 US-Dollar pro Kopf entspricht. Damit stiegen zum ersten Mal seit 1998 die Militärausgaben nicht mehr an. Dies liegt allerdings nicht an einer stärker werdenden Abrüstungspolitik, sondern an der sogenannten Haushaltskonsolidierung insbesondere europäischer Staaten und der USA, die aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise resultiert.

Deutschland ist nach den USA (30 Prozent) und Russland (23 Prozent) mit 11 Prozent Weltmarktanteil der drittgrößte Waffenexporteur. Trotz der stetigen Steigerungen der letzten Jahre beträgt der Rüstungsexport gemessen am BIP weniger als 0,5 Prozent. Der  Rüstungsexport spielt also für die deutsche Volkswirtschaft eine marginale Rolle.

In Deutschland ist die Rüstungsbranche durch privatwirtschaftliche Unternehmen geprägt, während in anderen europäischen Ländern (halb-)staatliche Unternehmen dominieren. Zu den 5 größten deutschen Rüstungskonzernen gehören die European Aeronautic Defence and Space Company (EADS), Rheinmetall, Krauss-Maffei  Wegmann, Thyssen-Krupp und Diehl Defence.

Die Rüstungsindustrie der Bundesrepublik ist volkswirtschaftlich von geringer Bedeutung. Die Rüstungsproduktion trägt nur 0,6 Prozent zum BIP bei (70 Prozent davon für den Export). Der jährliche Umsatz beträgt 16 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent des Gesamtumsatzes von  Industrie und Verarbeitendem Gewerbe. Insgesamt arbeiten incl. IT- und Kommunikationsbereich in der Rüstungsindustrie knapp 100.000 Menschen, also nur etwa 1,3 Prozent der in Industrie und Verarbeitendem Gewerbe Beschäftigten und 0,3 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Von einem Jobmotor Rüstungsindustrie kann also nicht die Rede sein.

3. Militärisch-industrieller Komplex

Die relativ geringe volkswirtschaftliche Bedeutung der Rüstungsindustrie darf jedoch nicht den Blick auf ihr politisches und gesellschaftliches Gewicht verstellen. Die Debatte um Rüstungsproduktion und Rüstungsexport erfordert die  Auseinandersetzung mit dem Militärisch-Industriellen Komplex (MIK), Darunter versteht man die enge Verkoppelung bzw. Verzahnung militärischer und staatlicher Interessen an immer neuen Waffen- und Rüstungssystemen mit den Interessen der Rüstungsindustrie an Produktion und Export von Rüstungsgütern.  Rüstungsproduktion und –export haben eine politische Geschäftsgrundlage, in der der Rüstungsindustrie Profite und dem Staat die Umsetzung seiner Militär-, Bündnis- und Sicherheitspolitik gesichert werden. Es entsteht die für den MIK so spezifische wechselseitige Abhängigkeit: Die Militärapparate von Staaten und  Staatenbündnissen (EU, NATO) als praktisch alleinige Nachfrager und Auftraggeber, die Rüstungsindustrie als einziger Auftragnehmer, die ihre Machtposition durch Konzentration, Exportorientierung und Internationalisierung ständig weiter ausbaut, mit wachsender Verflechtung mit anderen Sparten und Branchen einschließlich Finanzsektor. Eine weitere Form der Verflechtung von   Rüstungsindustrie und staatlichen Institutionen ist die Vereinnahmung von Wissenschaft und Forschung für militärische Zwecke („Wehrtechnische Forschung“)  z.B. durch Drittmittelvergabe an Universitäten und Forschungseinrichtungen.

In der EU und in D wird die Rüstungsindustrie finanziert hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, da die Ausschreibung für Rüstungsaufträge stark reduziert ist. Damit wird auch der Rüstungsexport forciert

Zudem hat das Thema Rüstungsexporte eine zentrale europäische Dimension Es gibt eine starke Bestrebung nach Europäisierung von Rüstungsproduktion und  -export und nach Schaffung eines europäischen Rüstungsmarktes, wozu eine  EU-Rüstungsagentur geschaffen wird. Laut SIPRI sind die Staaten der Europäischen Union der größte Rüstungsexporteur der Welt. Die Bundesregierung treibt u. a. die Exportorientierung des europäischen Raumfahrt- und Rüstungskonzerns EADS stark voran. Gefahren bergen auch die eigentlich begrüßenswerten Bemühungen, die Regeln für Rüstungsexporte auf Ebene der EU zu vereinheitlichen. Wie die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des 2008 verabschiedeten „Gemeinsamen Standpunkts“ zeigen, drohen jedoch restriktive Regeln aufgeweicht zu werden. Die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments sind bislang völlig unzureichend.

Hinter dem Geschäft mit dem Tod stehen wirtschaftliche und politische Interessen. Diese beherrschen zunehmend in D und EU-weit die politische Entscheidungsfindung.

II. Forderungen und Perspektiven

Aus dem friedensgefährdenden Umfang des Rüstungsexports, seiner ökonomischen und politischen Bedeutung und der Rüstungsexport-Politik von Bundesregierung, EU und NATO ergeben sich für die Erlanger SPD die folgenden kurz-, mittel- und langfristigen Forderungen und Perspektiven – im Einklang mit den Positionen zahlreicher friedenspolitischer, gewerkschaftlicher, wissenschaftlicher, kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Initiativen und Organisationen:

1. Transparenz und parlamentarische Kontrolle
  • Die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten müssen gestärkt und das Transparenzniveau muss verbessert werden:
    • Beratung und Beschlussfassung von Rüstungsgeschäften im Bundestag, Vorabunterrichtung des Parlaments bei sensiblen Lieferungen, Einführung eines Gesetzes zur besseren Kontrolle des Exports,
    • grundsätzliche Veröffentlichungspflicht aller geplanten und tatsächlich durchgeführtenExporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
    • Umwandlung des geheim tagenden Regierungsgremiums Bundessicherheitsrates in ein öffentlich tagendes parlamentarisches Gremium
  • Die strenge Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien (Außenwirtschaftsgesetz, Außenwirtschaftsverordnung, Kriegswaffenkontrollgesetz) und eine restriktive Genehmigungspraxis müssen durchgesetzt werden
2. Reduktion des Rüstungsexport durch restriktive Rüstungsexportpolitik
  • Grundlegende Reform des Genehmigungsverfahrens für deutsche Waffenexporte:
    • Verschärfung der Kriterien
    • Überprüfung und eventuell Rücknahme von Exportgenehmigungen, keine Exporte von Kriegswaffen in Krisenregionen und an autoritäre und repressive Regime, gegebenenfalls Stornierung der beabsichtigten Exporte
    • Deutlich restriktivere Handhabung des Export von Kleinwaffen incl. Munition, Stopp der Lieferungen von Kleinwaffen in Länder insbesondere außerhalb von EU und NATO
    • Restriktiver Umgang mit der Vergabe von Sammelausfuhrgenehmigungen, keine staatlichen Ausfallbürgschaften („Hermes-Kredite“) zur Absicherung von Rüstungsgeschäften mit Drittstaaten
  • Wirksame Kontrolle des Endverbleibs von Waffenlieferungen und in Lizenz im Ausland hergestellter Waffen, Verbot der Lizenzvergabe von Kleinwaffen
  • Keine Weitergabe deutscher Technologie, die Empfänger in die Lage versetzen kann, eigenständig Rüstungsgüter zu produzieren und diese zu verkaufen.
  • Langfristig: Proliferationsverbot incl. Kontrolle von Munition, Verbot von Rüstungsexporten im Grundgesetz (Klarstellung von Artikel 26(2) GG).
3. Abrüstung und internationale Rüstungskontrolle
  • Kritische Überprüfung und umfassende Revision des „Gemeinsamen Standpunktes“ der EU von 2008, strengere Kontrollen von Rüstungsausfuhren aus den europäischen Staaten incl. der Weitergabe an Drittländer
  • Reform der „Politischen Grundsätze“ der Bundesregierung: Menschenrechtslage im Empfängerland als ausschlaggebendes Kriterium mit gesetzlicher Bindung, um Verstöße zu sanktionieren
  • Erweiterung des UN Arms Trade Treaty (ATT) – nicht als internationales Handelsabkommen, sondern im Kontext der Aussen-, Sicherheits- und Friedenspolitik: Erfassung, neben den Kategorien des UN-Waffenregisters, von Kleinwaffen und leichten Waffen,von bewaffneten Drohnen als eigenständige Kategorie, von Munition, Bauteilen/Komponenten, neuen Technologien, Lizenzproduktionen und Produktionsanlagen sowie eine koordinierte Position der EU-Mitgliedsstaaten
  • Weltweit Verbot und Ächtung von bewaffneten Drohnen, Landminen und Streumunition und konsequente Umsetzung
  • Internationales Verbot des Exports von Kleinwaffen, die am wenigsten kontrollierbar sind und weltweit die meisten Todesopfer fordern sowie des Verkaufs von Lizenzen für deren Herstellung im Ausland
  • Auf EU- und UN-Ebene Beachtung der möglichen negativen Auswirkungen von Waffentransfers auf die interne, regionale, subregionale oder internationale Stabilität
4. Konversion statt Rüstungsproduktion und Rüstungsexport

Die Finanzkrise könnte zum Rückgang der Militärausgaben führen. Lobbyverbände der Rüstungsindustrie dringen jedoch auf mehr staatliche Unterstützung für den Waffenexport ins nichteuropäische Ausland. Aus friedenspolitischer Perspektive  aber ist nicht Export, sondern Konversion die adäquate Antwort auf eine  vermeintliche Krise der Rüstungsindustrie.

  • Die sinkende Auslastung der Produktionskapazitäten darf nicht durch eine Steigerung der Rüstungsausfuhren kompensiert werden; nicht immer mehr deutsche Rüstungsgüter auf den internationalen Rüstungsmarkt durch zunehmenden Rüstungsexport an Drittstaaten und als Folge der Umstrukturierung der Bundeswehr
  • Schrittweise Reduktion der Rüstungsproduktion, zunächst auf „Eigenbedarf“ in Bundeswehr und NATO
  • Programm zur Konversion von Rüstungsgütern in zivile Produkte, industriepolitische Maßnahmen zugunsten eines Beschäftigung sichernden Konversionsprogramms für monostrukturierte Rüstungsunternehmen und zum zivilen Strukturwandel in regionalen Rüstungszentren, Konversionsfonds auf Bundes- und Länderebene, aus denen betriebliche Projekte gefördert werden und die zivile Produktinnovationen zu Lasten von Rüstungsgütern fördern. In allen diesen Punkten sind die Gewerkschaften und Betriebsräte einzubeziehen (siehe Forderung der IGM nach einem Branchenrat).

Aus der Zivilgesellschaft heraus müssen Druck gegen die deutsche Praxis des Rüstungsexportes aufgebaut und Alternativen zur Rüstungsproduktion aufgezeigt werden durch Mut zu einer neuen Konversionsdebatte. Statt neuer militärischer Mittel braucht die Welt eine Offensive in politisch-strategischer Diplomatie.