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8. Mai 1945 – Gedenkveranstaltung der Erlanger SPD

Wolfgang Vogel
Hermann Glaser

Am 8. Mai fand auf Einladung der Erlanger SPD eine Veranstaltung zum Gedenken an das Kriegsende und die Befreiung vom Faschismus vor 60 Jahren statt. Hermann Glaser, ehemaliger Kulturreferent Nürnbergs und Buchautor sowie Wolfgang Vogel, MdL führten mit ihren Beiträgen durch den Vormittag und wurden dabei von der Band Klezmaniaxx begleitet.

Lesen Sie die Erklärung zum Kriegsende und zur Befreiung vom Faschismus der Erlanger SPD.

Zur Presseberichterstattung über die Veranstaltungen am 8. Mai:

Ein Ende mit Schrecken und Hoffen

Gedenkfeiern zum Kriegsende vor 60 Jahren mit unterschiedlichen Schwerpunkten
Mit Gedenkveranstaltungen wurde auch in Erlangen an das Kriegsende vor 60 Jahren erinnert.
„Geschichte endet nicht!“

9.5.2005 ERLANGER NACHRICHTEN

Mit einem Gedicht von Gottfried Keller überraschte bei der Gedenkveranstaltung der SPD im Museumshof Hermann Glaser, Partei-Urgestein („Seit 40 Jahren in der SPD, manchmal in letzter Treue“), ehemaliger und langjähriger Kulturreferent Nürnbergs und eindringlicher Redner. In diesem Gedicht, auch in einer der ersten Ausgaben der Nürnberger Nachrichten abgedruckt, warnt Keller in geradezu visionärer Weise (im Jahr 1846!) vor einem „großen Verführer und Despoten“ — „hier wurde die Herrschaft des Nationalsozialismus vorweggenommen“.

Den Deutschen attestierte Glaser eine merkwürdige Erinnerungskultur — „sie haben sich schwer getan, Trauerarbeit zu leisten, sie duckten sich weg, beschuldigten andere, flüchteten sich in rastlose Geschäftigkeit.“ Fazit: „Sie wurden von den Amerikanern von sich selbst befreit.“

Seine Rede, immer wieder von Beifall unterbrochen, trug Persönliches bei (im wiedereröffneten Theater gab es bei Goethes „Iphigenie“ Tränen, weil endlich zwischen den Menschen, wie der Text sagt, „nichts als Wahrheit“ sein möge), aber auch die Nazi-Lehrer, die nichts zu einem demokratischen Neuanfang beitragen konnten, wurden angemerkt.

Der „Erlanger Student“ – Glaser über Glaser — vergisst auch nicht, der Universität („Diesem Hort des nationalen Protestantismus“) eine bedenkliche Nähe zu den braunen Machthabern zu attestieren – kein Ort damals, wo, laut Johannes-Evangelium, „der Geist weht, wo er will“.

Dass es in diesem „Volk der Blödigkeit“ — das heute schon wieder den Verblödungsstrategien der elektronischen Massenmedien ausgeliefert sei — überhaupt noch Reste menschlichen Anstands gab, habe, so Glaser, durchaus mit der Sozialdemokratie zu tun gehabt, mit Leuten wie dem letzten Reichstagsfraktionsvorsitzenden Otto Wels, der den blökenden Nationalsozialisten die Menschenrechte entgegengeschleudert habe. Auch in der nicht unbegründeten Hoffnung, „dass Geschichte nicht endet“. Mit der Aufforderung Günther Eichs „. . . seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt“ appellierte Glaser an das Publikum, die Kultur als „Irritationsfaktor“ hoch zu halten.

Wolfgang Vogel, SPD-Landtagsabgeordneter und zweiter Mahner des Tages, kritisierte die offizielle Erinnerungskultur in der Stadt. Des Kriegsendes am 16. April durch die kampflose Übergabe der Stadt zu gedenken sei nur dann wirklich „wahr“, wenn man die Rolle der damaligen — „durchaus mutigen“ — Akteure auch als Vertreter der NS-Diktatur sehe. Und dies schließe die Erinnerung an jene ein, die sich den Nazis schon vorher mutig entgegengestellt hatten. Dazu hätten Erlanger Politiker (Poeschke, Zink) ebenso gehört wie überzeugte Kommunisten, gläubige Christen und aufrechte Demokraten.

Vogel warnte aber auch davor, dass ausgerechnet in einer Zeit, in der — anknüpfend an Richard Weizsäckers Wort von der „Befreiung“ durch das Kriegsende — Deutschland sich gemeinsam mit den Alliierten erinnern dürfe, ein „erinnerungskultureller Gezeitenwechsel“ stattfinde, die Deutschen als Opfer über die Deutschen als Täter gestellt würden, ein neuer deutscher Opfermythos beschworen werde. pm

„Mahnung für Frieden . . .“

Unter das Motto „60 Jahre danach – Mahnung für Frieden und Freiheit“, hatte Landrat Eberhard Irlinger die Gedenkveranstaltung des Landkreises — musikalisch umrahmt von Gabriele Haberberger und Bettina Quandt von der Herzogenauracher Käthe-Zang-Sing-und-Musikschule — gestellt, bei der er in Prof. Gotthard Jasper einen Gast hatte, der informativ, differenziert und zugleich bewegend zum Thema sprach. Die Ausführungen des ehemaligen Rektors der Universität Erlangen-Nürnberg wurden durch einen Dokumentarfilm ergänzt und unterstrichen. „Als der Frieden schon so nah war!“ ist ein Werk der Dokumentarfilmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule Rothenburg o. d. Tauber unter der Leitung von Thilo Pohle.

In seiner Rede bezeichnete Irlinger den 8. Mai als „einen Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft“ — man müsse angesichts der furchtbaren Geschehnisse den Mut zum Erinnern haben. „Nie wieder Auschwitz“ — dieser Satz sei ein lebensbegleitendes Leitbild gewesen und auch immer Motiv für politisches Handeln.

Professor Jasper beleuchtete die Geschehnisse während und zum Ende der Naziherrschaft auch aus eigener, persönlicher Sicht – verlor dabei die besondere Bedeutung der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten nicht aus den Augen, ebenso die Leiden und Schicksale der deutschen Familien. Er thematisierte die Gräueltaten des Naziregimes und sprach gleichzeitig auf behutsame Art und Weise und in dennoch angemessener Offenheit die Beschwernisse der Menschengeneration unter Hitler an. Insbesondere die Jugend sei zu jener Zeit um ihre eigentlich menschlichen Ideale verraten und auf verachtenswerteste Weise eingespannt worden.

Der — bereits 450 Mal in Kreis- und Gemeinderäten sowie in Schule gezeigte — Dokumentarfilm über „Eine Dorfgeschichte zum Kriegsende 1945“ ergriff auch deshalb so stark, weil im Örtchen Brettheim in den letzten Tagen des Krieges drei Menschen, (darunter der Bürgermeister) von den Nazis zum Tode verurteilt wurden, weil sie den Zusammenstoß mit den Alliierten verhindern wollten. AF

„Nicht wegsehen!“

„Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ hieß das Thema im Beisein des renommierten Faschismus-Forschers Prof. Reinhard Kühnl sowie der Erlanger Autoren Klaus Gasseleder und Johannes Wilkes beim DGB — in Friedenszeiten bei Leberkäse und Rotwein. Doch schon bei der Einführung von Verdi-Gewerkschaftssekretär Frank Riegler blieb den Gästen des Essen im Halse stecken, als dieser Erlanger Bezüge herstellte: Auch die hiesige Universität sei bei der Nazi-Gefolgschaft ganz vorne dabei gewesen, „in der Frauenklinik wurden Zwangsarbeiterinnen mit Seifenlauge zur Abtreibung gezwungen,“ so Riegler. Im Publikum kaute da niemand mehr.

Klaus Gasseleder brach das Schweigen und trug ein Kapitel aus seinem dokumentarischen Roman „Zwei Gesichter. Aus der Chronik einer jüdischen Familie“ vor. Es erzählte von der litauischen Jüdin Klara Scheer, die sterben musste, weil sie ein vom Hetzblatt „Der Stürmer“ kritisiertes Gedicht des Juden Stefan Zweig gelesen hatte – im Stürmer-Kasten in Bad Kissingen. Wegen „frechem und ostjüdischem Auftreten“ schickte sie die Würzburger Gestapo ins KZ Ravensbrück.

Kinderarzt Johannes Wilkes las aus seinem Band „Der Streichholzjunge. Geschichten von Helden und Opfern in Erlangen.“ Den Geschichten kam Wilkes durch Recherchen im Erlanger Stadtarchiv und Interviews mit Hinterbliebenen auf die Spur. Er fand zum Beispiel heraus, dass der Erlanger Gymnasiast Robert Limpert sein Leben gab, um Ansbach vor der Zerstörung zu retten.

Der (gewerkschaftsnahe) Politologe Reinhard Kühnl zog sein Publikum schnell in den Bann: Frei sprechend, logisch argumentierend und zugleich leidenschaftlich forderte er die Zuhörer zur Diskussion auf. Seine These: „Im Kern ist der Faschismus die schrankenlose Befehlsgewalt des Kapitals gegenüber den Arbeitnehmern.“

Konsequenzen? Kühnl ruft die Anwesenden auf, heute Verantwortung zu übernehmen: „Dieses ,Da-kann-man-nichts-machen‘ ist die verheerendste Formel, die man sich einreden kann. Es muss heißen: Da können wir eingreifen! Die extreme Rechte, die Rassismus und Antisemitismus propagiert, dürfen wir nicht tolerieren!“ Viel Beifall, aber auch Ergriffenheit angesichts der persönlichen Schilderungen. Ein Zeitzeuge mit schlohweißen Haaren und Tränen in den Augen schluchzt: „Ein Verbrechen!“ MD

Flucht und Vertreibung

Anlässlich einer Matinee des Bundes der Vertriebenen in dem Wassersaal der Orangerie beleuchtete Professor Nikolaus Fiebiger das Kriegsende vor 60 Jahren. Diese habe zwar den lang ersehnten Frieden herbeigeführt, damit habe aber auch die Leidensgeschichte der ostdeutschen Bevölkerung erst begonnen. Der einstige Präsident der Universität Erlangen-Nürnberg deutete die Begriffe „Flucht und Vertreibung“ — untrennbar verbunden — als gewaltsame Enteignung und Landnahme, die nach internationalem Recht Kriegsverbrechen seien; die auch nicht unmittelbar in einem Zusammenhang mit der Verfolgung des jüdischen Volkes durch die Nazi-Herrschaft stünden.

Mit der „Landnahme“, die sich schon nach dem Ersten Weltkrieg abzeichnete, habe man vor allem die Schwächung Deutschlands erreichen wollen, erklärte der Ehrenbürger Erlangens die schrecklichen Ereignisse nach 1945 und die damit verknüpfte Suche von Millionen Deutschen nach einer Bleibe. Deutschland habe seine Schuld an den Verbrechen der Hitler-Diktatur eingestanden, so Fiebiger, zudem Abbitte und Wiedergutmachung geleistet.

Dieser Schandfleck werde noch lange nicht verblassen. Jedoch erwarte man gleiches über die Enteignung und Vertreibung Deutscher von der Politik und ihren Vertretern, schloss der Redner seine mit Beifall aufgenommenen Ausführungen.

Zu Beginn der Matinee hatte Eike Haenel, Vorsitzender des BdV, Kreisverband Erlangen-Höchstadt, das Schicksal der „in alle Winde verstreuten Heimatvertriebenen“ angeführt, das viele Jahre bis zur Findung eines neuen Zuhauses dauerte. Musikalisch gestaltete das „Heinlein-Streichquartett“ die Morgenveranstaltung, die mit dem „Kaiser-Quartett“ von Joseph Haydn endete. Unter den zahlreichen Besuchern waren der frühere Landtagspräsident Wilhelm Vorndran, MdL Christa Matschl, Ulrich Wustmann (Erlangen-Höchstadt) und Joachim Lukas für den BdV-Mittelfranken. go